Die unsichtbare Pyramide
doch…«
»Isfet umbringen? Schaut mich an. Sehe ich etwa aus wie der Pharao?« Sie spreizte die Arme ab und drehte sich einmal um ihre eigene Achse.
Topras Mund stand offen. Obwohl es ihn schwindeln machte, genoss er durchaus die Einladung, sie ganz offen anstarren zu dürfen. Er vermochte nicht zu sagen, ob diese Benommenheit mit dem sonderbaren Gefühl zusammenhing, diesem Mädchen schon einmal begegnet zu sein, oder mit ihrer unbeschreiblichen Schönheit. Ihr ovales Gesicht raubte ihm schier den Atem. Ihre schmale, gerade Nase war ein gefährlicher Grat, von dem man in die bodenlose Tiefe ihrer meerblau funkelnden Augen stürzen konnte. Und ihr voller, roter Mund schien wie eine verzauberte Frucht zu sein, die zu kosten er zwar begehrte, den Gedanken daran aber gleich wieder verscheuchte – nichts würde danach mehr so sein wie zuvor. »N… Nein«, stotterte er und senkte verlegen den Blick. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Pharao… so schöne Zehen hat.«
»Ihr seid anders als die meisten Jungen, die ich bisher kennen gelernt habe«, sagte Inukith. In ihrer sanften Stimme schwang eine gewisse Amüsiertheit, aber Topra konnte auch wieder den Klang der Melancholie vernehmen, der ihm schon vorher aufgefallen war. Seine Antwort hörte sich indessen eher wie die eines eifersüchtigen Liebhabers an.
»Ihr habt mit unsereinem also einschlägige Erfahrungen? Ich dachte der große Pharao duldet keine Rivalen.«
Inukith wandte sich mit einem Ruck von ihm ab. »Was wisst denn Ihr!«
Topras Herz verkrampfte sich. Ja, was wusste er schon von diesem anmutigen Mädchen? Selbst wenn er das Empfinden hatte, sie seit langem zu kennen, durfte er sich ihr gegenüber nicht so aufspielen. Seine Augen wanderten über den Boden, erklommen Inukiths Füße, ihre zarten Fesseln, die hauchfeinen Falten ihres Negliges und verharrten schließlich auf ihren bebenden Schultern.
Das Mädchen weinte.
Von dem unbändigen Drang erfüllt, sie zu trösten, trat er von hinten an sie heran, hob die Hand, um ihr Haar zu streicheln, ließ sie dann aber wieder sinken. »Warum seid Ihr so traurig, Inukith?«, fragte er leise.
Sie drehte sich um und sah mit tränenverhangenem Blick zu ihm auf. »Ich bin nicht die Konkubine des Pharaos, sondern die Braut seines Sohnes!«
»Aabuwa ist Euer…?« Topras Mund blieb offen stehen.
»Ich bin ihm zur Ehe versprochen, aber ich hasse ihn und seinen Vater vermutlich genauso wie Ihr. In seinem Jähzorn hat Aabuwa schon viele Menschen getötet, verstümmelt und verletzt. Auch Pamai.«
»Pamai?«
»Mein Verlobter. Ihm gehörte mein Herz. Er war fünf Jahre älter als ich, der Sohn eines angesehenen Hofbeamten. Pamai hatte mir schon Heiratsanträge gemacht, als ich noch ein Kind war, und jetzt…« Inukith drückte sich einen Zipfel ihres Negliges an den Mund und schluchzte.
»Dann gehört Ihr auch zum Hofstaat?«, versuchte Topra sie abzulenken.
Inukith verstummte jäh und sah ihn erschrocken an. Doch dann – als hätte sie einen stillen Entschluss gefasst – fielen Misstrauen und Anspannung von ihr ab. Wie zu einem Freund sagte sie: »Ich bin nicht mehr und nicht weniger als ein Vogel in einem goldenen Käfig, Topra. Wenn du dich am Hof nach mir erkundigst, werden die Leute sagen, Inukith ist eine Waise, das Mündel von Herzog Apophis, dem Großwesir des Pharaos. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Ich bin zwar als Waisenkind im Millionenjahrhaus aufgewachsen, aber die Frau, die mich erzog, ist meine richtige Mutter. Sie darf sich nicht zu mir bekennen, weil sonst mein Leben gefährdet wäre.«
»Wie kann das sein?«
»Die Sippenhaftung ist ein beliebtes Mittel des Amjib, um jegliches Aufbegehren gegen den ›geliebten Vater der Nation‹ im Keim zu ersticken. Meine Eltern hatten sich im Exil kennen gelernt. Beide wurden vom Geheimdienst des Pharaos gejagt.«
»Und wie kommt es, dass deine Mutter und du jetzt zum Hofstaat gehört?«
»Vermutlich aus denselben Gründen, die dich heute Nacht in dieses Gemach geführt haben.«
»Du willst den Pharao…?« Topras Erstaunen hatte sich etwas zu laut Gehör verschafft, weshalb Inukith ihm schnell die Hand auf den Mund legte.
»Du musst leise sein«, flüsterte sie. Der Duft ihrer Haut, unmittelbar unter seiner Nase, machte ihn buchstäblich taumeln.
Besorgt gab sie seine Lippen wieder frei. »Bist du wirklich so kurzatmig, Topra?«
»Nein, nein. Wenn ich will, tauche ich sogar mit den Fischen.«
Sie neigte ihren Kopf und sah ihn von
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