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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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in einem Zickzackkurs dem Stadtzentrum näherten. Aus der Ferne hatte Trevir gesehen, dass sich der Zerstörungsherd weiter im Nordosten Londons befand.
    Nach einer Weile trafen sie auf ein verrostetes Eisenskelett, das einmal ein riesiges Haus gewesen sein musste. Aus den Trümmern am Fuß des Gerüsts ragte ein Schild hervor.
    »New Scotland Yard«, las Trevir.
    Dwina legte den Kopf in den Nacken und blickte zu dem Gerippe empor. »Sieht mir kaum wie ein schottischer Hof aus. Und neu ist das Gestell schon zweimal nicht.«
    »Du tust ja gerade so, als wüsstest du, was ›schottisch‹ ist.«
    »Es könnte ein anderes Wort für ›sparsam‹ sein.«
    »Wieso denn das?«
    »Weil sie alles übereinander gestapelt haben, um weniger Platz zu verbrauchen.«
    »Weibliche Logik!«, grunzte Trevir und schüttelte den Kopf. Dwina mit sich ziehend sagte er: »Komm. Es dämmert schon.«
    Bald begrub Trevir alle Hoffnungen, noch vor Einbruch der Dunkelheit zur großen Kuppel vorzudringen. Die Umrisse der Ruinen lösten sich bereits im Zwielicht auf. Bald würde es völlig finster sein. Er hielt nach einem geeigneten Unterschlupf für die Nacht Ausschau. Plötzlich fuhr er zusammen, weil Dwina ihr langes Schweigen mit einem überraschend heftigen Ausruf beendete.
    »Hast du das eben gesehen?«
    Trevir blickte sich um. »Was?«
    Dwina deutete mit der rechten Hand zur Seite. »Da hat sich eben etwas bewegt.«
    »Bist du dir sicher? Schatten können trügerisch sein.«
    »Ich weiß, was ich gesehen habe. In dem leeren Fenster dort hat sich etwas gerührt.«
    Trevir spähte angestrengt zu der größtenteils eingefallenen Fassade und schüttelte den Kopf. »Vielleicht war es ein Tier.«
    »Abgesehen von ein paar Vögeln am Himmel habe ich hier noch kein lebendes Wesen gesehen.«
    »Ach, und was ist mit mir?«
    Dwina konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Trevir von sich schubsend antwortete sie: »Du bist ein Früchtchen. Die zählen nicht.«
    Sie setzten ihre Quartiersuche fort und durchquerten eine schmale Straße, an deren Ende eine dunkle Wand aus Bäumen aufragte. Unvermittelt nahm Trevir aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr. Er blieb stehen und fuhr blitzschnell herum. Ein eisiger Schauer lief ihm über den Rücken.
    »Du hast Recht gehabt, Dwina«, flüsterte er. Sie folgte seinem Blick und gleich darauf fühlte er, wie sich ihre Hand in der seinen verkrampfte.
    Aus einem Fensterausschnitt im untersten Stockwerk, sechs, höchstens acht Schritte entfernt, sah ihnen ein bleiches Gesicht entgegen.
    Der Kopf des stillen Beobachters wirkte im Vergleich zu seinem Oberkörper unverhältnismäßig groß. Trevir kam es vor, als wollten riesige Augen ihn bannen, aber das mochte an den trügerischen Lichtverhältnissen liegen. Er spürte, wie Dwina an seiner Hand zog.
    »Trevir!«, hauchte sie.
    »Ja?«
    »Da sind noch mehr.«
    Als er sich umsah, standen ihm die Haare zu Berge. Überall huschten jetzt lautlose Schemen durch die Dunkelheit. Schlagartig wurde ihm klar, was das zu bedeuten hatte.
    »Das ist eine Falle! Komm!« Er lief los und riss Dwina mit sich.
    Hand in Hand rannten sie die Straße hinab.
    »Was sind das für Geschöpfe?«, keuchte sie.
    »Keine Ahnung. Aber ich glaube, sie möchten uns verraten, warum man diese Stadt auch ›die Verfluchte‹ nennt.«
    »Was sollen wir tun?«
    »Da vorne ist ein Wald oder Park. Vielleicht wagen sie es nicht, ihre Steinwüste zu verlassen.«
    »Und wenn doch?«
    Trevir blieb ihr eine Antwort schuldig, denn in diesem Moment kamen an die zwei Dutzend dieser Geschöpfe der Nacht vom Himmel geflogen. Zumindest erweckte es den Anschein. Als Trevir sich umblickte, sah er, wie die Fassaden ringsum von den Wesen wimmelten. Irgendwie wirkten sie menschlich, aber andererseits auch wieder nicht. Für Ersteres sprach ihre dunkle, eng anliegende Kleidung, die sie in den Schatten fast unsichtbar machte – man konnte glauben, ihr großer Kopf auf dem dünnen Hals, die Hände und ihre nackten Füße schwebten wie losgelöst durch die Finsternis. Aber das sah nur so aus. Ihre Körper waren zwergenhaft klein und ziemlich dürr. Dafür konnten sie klettern wie Eichhörnchen und aus erstaunlicher Höhe auf die Straße herabspringen, ohne den geringsten Schaden zu nehmen – daher der Eindruck, sie wären aus den Wolken gefallen.
    Dieser Fähigkeit verdankten die kleinen Gnome ihren strategischen Vorteil: Sie hatten das Paar umzingelt.
    »Was jetzt?«, zischte Dwina.
    »Wir müssen versuchen

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