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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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»Ziegenbocks«
    ANX
     
     
     
    Die Warterei hing Topra zum Halse heraus. Jobax schien jetzt schon eine geschlagene Stunde mit dem Trockenobstverkäufer zu verhandeln. Normalerweise machte ihm das Schachern der Händler nichts aus, ja, er beteiligte sich sogar selbst gerne am Feilschen, aber seit einigen Tagen spürte er in sich eine Unrast, die sein sonst eher heiteres Gemüt wie Gewitterwolken überschattete. Zeitweise war es ihm so vorgekommen, als hätte er einen ganzen Ameisenhügel verspeist und die fleißigen Tierchen bauten nun in seinen Eingeweiden weiter. Er konnte nicht ruhig sitzen, nicht still stehen, sich auf kein Buch konzentrieren…
    Erst am Morgen hatte sein Vater ihn zum Bug der Tanhir gewunken, wo sie ungestört waren, und erklärt: »Das ist normal in deinem Alter. Dein Körper verändert sich. Da wachsen mit einem Mal Haare, wo vorher keine waren; du spürst Regungen, von denen du bisher keine Ahnung hattest; vielleicht erwachst du mitten in der Nacht aus einem aufregenden Traum und deine Hose ist feucht und klebrig – glaube mir, mein Sohn, das alles habe ich auch durchgemacht. Es gehört zum Erwachsenwerden. Äußerlich bist du fast schon ein Mann, doch in deinem Innern fühlst du dich noch wie ein Kind. Deshalb bist du angespannt. Aber das geht vorüber.« Jobax hatte sich schon immer große Mühe gegeben, seinem Ziehsohn ein guter Vater zu sein, wenngleich er dabei manchmal etwas unbeholfen wirkte. Topra war durchaus dankbar, nicht nur für die Liebe des Kapitäns im Allgemeinen, sondern auch im Besonderen für die Erklärungen einiger kürzlich gemachter, ziemlich überraschender Beobachtungen. In Bezug auf seine aktuelle Verfassung fühlte er sich allerdings unverstanden. Vielleicht suchte er aus diesem Grund ein Ventil, um die fiebrige Gereiztheit endlich loszuwerden.
    Lamu war eine alte Stadt im Land Hima, einer baqatischen Kolonie an der Ostküste des Schwarzen Kontinents. Auf den ersten Blick wirkte das geschäftige Treiben am Hafen unüberschaubar. Doch dies war nicht Topras erster Landgang hier und er besaß Übung darin, im scheinbar Unentwirrbaren Einzelheiten zu erfassen. Bisher hatte er das Gewusel auf Lamus buntem Markt, die Streifzüge durch die engen, gewundenen Gassen und die Begegnungen mit den offenherzigen schwarzen Menschen immer genossen. An diesem Tag nahm er seine Umgebung jedoch eher aus der Fernrohrperspektive wahr.
    Von den Ständen der Straßenhändler aus konnte man die im Hafen liegenden Schiffe sehen. Dort entdeckte Topra eine Gruppe Gleichaltriger, die am Kai standen und offenbar über die Tanhir sprachen. Die Halbwüchsigen trugen ausnahmslos landestypische Tracht: knöchellange, farbenfroh gestreifte Hemden aus baqatischem Leinen, die in ihrer Sprache khanzu hießen, und dazu Hüte, die mit einer Quaste geschmückt waren und ein wenig an Kochtöpfe erinnerten. Topra wurde von den »Langhemden« wie von einem Magnet angezogen. Scheinbar unbeteiligt näherte er sich ihnen, bis er ihr Gespräch belauschen konnte.
    »Na, auf alle Fälle habe ich noch nie eine so hässliche Dhau gesehen. Sieht aus wie eine gestrandete Walkuh«, befand gerade einer, der unüberhörbar im Stimmbruch war.
    »Und du wie ein gestreifter Esel«, mischte sich Topra in die Diskussion ein.
    Die Gruppe drehte sich geschlossen um. Der selbst ernannte Schiffsexperte war ungefähr einen Kopf größer als Topra und schien sich über die Herausforderung zu freuen. »Sieh an, ein gebleichter Neunmalklug! Dürfte nicht schwer sein zu erraten, aus welchem Loch du gekrochen bist. Du kommst von der Dhau, stimmt’s?«
    Topras Antwort klang wie das Grollen eines Löwen. »Das ist die Tanhir, falls du lesen kannst, eines der berühmtesten Schiffe von Anx. Normale Dhauen haben ein oder zwei Masten, diese da hat drei. Sie ist eine Ghanjah, die Königin unter den Dreiecksseglern.«
    »Ohooo! Dann bist du also aus einer schwangeren Königin geschlüpft. Aber hübscher wird sie dadurch trotzdem nicht. Oder kannst du mir irgendetwas an dieser trächtigen Seegurke zeigen, das nicht abstoßend ist?«
    »Ja, das hier.« Topras Faust landete mit Wucht auf der Nase des Langhemds. Die fing zwar an zu bluten, aber das warf den großen Burschen nicht um. Sofort ging er zum Gegenangriff über.
    Es dauerte nicht lange und die beiden wälzten sich im Staub. Die Sympathien des an Zahl schnell zunehmenden Publikums lagen eindeutig aufseiten des Langhemds. Mit Anfeuerungsrufen wurde an das Durchhaltevermögen der

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