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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Provinzialminister der Franziskaner unter gleichem Ordensnamen, sowie Senora Estefania Morales ermordet zu haben…«
    Sehr viel mehr hatte Francisco nicht mitbekommen, weil ihm schwindlig und speiübel geworden war. Gaspar hatte ihn gestützt und zu einem Stuhl geführt, wo sich der Novize dann übergab. Als es ihm endlich wieder besser ging, war Bruder Pedro nicht mehr da. Er hatte sich wie ein Lamm zur Schlachtbank abführen lassen, ohne Abschied, ohne sich auch nur ein einziges Mal umzuwenden. Rechnete er, sich seiner Unschuld sicher, mit einer baldigen Rückkehr? Oder bedeutete sein sang- und klangloses Verschwinden schon so etwas wie ein Geständnis?
    Inzwischen waren etwa sechs Stunden vergangen und das Kloster noch immer ohne »Wächter«. Fast genauso lange saß Francisco nun schon in seiner Zelle auf dem Bett und starrte die gegenüberliegende Wand an. Gaspar hatte ihn zum Essen abholen wollen. Ohne Erfolg. Selbst den Teller duftender Bohnensuppe, mit dem Urbano kurz darauf in seine Kammer gestolpert war, hatte Francisco nicht angerührt. Er befand sich in einem Zustand, in dem Hunger und Durst ohne Bedeutung waren. Immer wieder musste er an die Szene in Bruder Pedros Arbeitszimmer denken, an das blasse, erschrockene Gesicht, als der Guardian von seinem Schüler zur Rede gestellt worden war. »Er hat meine Mutter und ihren Liebhaber umgebracht«, flüsterte Francisco schließlich. »Eifersucht ist der älteste Grund für Mord. Sie hat schon Kain die Hand gegen seinen Bruder Abel erheben lassen.«
    Allmählich kam Leben in die steifen Glieder des jungen Mannes. Er hatte einen Entschluss gefasst. La Rábida ist nur eine Zwischenstation, machte er sich klar. Auch Christoph Kolumbus hat hier auf Zeit Zuflucht gefunden, sich aber schließlich auf die Suche nach der Neuen Welt begeben.
    In seinem tiefsten Innern weigerte sich Francisco, Pedros Schuld anzuerkennen. Aber allein der Gedanke daran, hier tage-, wochen-, vermutlich sogar monatelang zu warten, um am Ende vielleicht doch eine abscheuliche Wahrheit erfahren zu müssen, erschien ihm wie ein Gang durchs Fegefeuer. Dazu war er nicht bereit. Zu viele Zweifel hatten sein seelisches Gleichgewicht in Unruhe versetzt. Er musste erst die ganze Wahrheit über sich selbst erfahren, bevor er sich den unangenehmen Wirklichkeiten des Lebens stellen konnte. Deshalb beschloss Francisco davonzulaufen.
     
     
    Niemand bemerkte den lautlosen Schemen. Die Komplet, das letzte Stundengebet des Tages, war längst vorbei. Die meisten Mönche schliefen schon. Francisco schlich sich aus seiner Zelle, huschte durch die Galerie des Kreuzgangs, über die Treppe hinab ins Erdgeschoss und begab sich von dort in die Klosterkirche. Hier sprach er unter dem alten Kruzifix ein stilles Gebet. Anschließend stahl er sich durch eine Seitenpforte aus dem Gotteshaus.
    Es war eine mondlose Nacht. Er durchquerte den dunklen Garten außerhalb der Mauern von La Rábida und die sich anschließenden Parkanlagen. Unterhalb des Klosters befand sich ein Museum zu Ehren von Cristobal Colon – Kolumbus – und seiner ersten großen Entdeckungsfahrt nach Amerika. In dem Gebäude waren längst alle Lichter erloschen. Aber davor gab es ein öffentliches Telefon. Francisco sammelte aus seinem Gesparten einige Münzen zusammen und bestellte ein Taxi.
    Ungefähr zwanzig Minuten vergingen und der flüchtige Novize fürchtete schon, einem Suchtrupp aus dem Kloster in die Hände zu fallen, aber es blieb ruhig. Endlich tauchten die gelben Lichter eines Wagens auf. Es war ein kantiger Seat und sein Fahrer ein respektloser Bursche mit einem qualmenden Zigarettenstummel im Mundwinkel, der den jungen Mann in der Kutte erst von oben bis unten musterte, bevor er frech grinste und mit unüberhörbar spöttischem Unterton fragte: »Na, Bruder, so spät noch unterwegs?«
    Seit dem Ende der Ära Franco hatte die Kirche in Spanien einen beträchtlichen Teil ihres Ansehens eingebüßt. In diesem Bewusstsein schluckte der Novize eine scharfe Erwiderung hinunter und erwiderte freundlich: »Können Sie mich nach Huelva fahren?«
    »Klar doch! Wenn dein Taschengeld reicht.«
    »Da können Sie beruhigt sein.«
    »Na fein! Wo solls denn hingehen? Ich kenne da ein paar nette Bars…«
    »Bringen Sie mich bitte in die Avenida de Alemania.«
    »Unter einer Bedingung.«
    Francisco stutzte.
    Der Taxifahrer grinste. »Du musst erst einsteigen, Bruder.«
    Francisco nahm auf der Rückbank Platz und das Taxi röhrte davon – der Wagen

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