Die unsichtbare Pyramide
einem Mann zu distanzieren, den der Papst zum Kirchenlehrer erklärt hatte und dessen lateinischer Ehrentitel sich auch noch von demselben hebräischen Wort ableitete wie Franciscos Zuname Serafin. Mit zusammengepressten Zähnen erwiderte der angehende Mönch: »Mir ist egal, wie du das siehst. Ich bleibe hier.«
Sekundenlang beherrschte Strenge das Gesicht des Archäologen, wich dann aber einem versöhnlichen Ausdruck. »Also gut. Ich merke schon, dass wir im Augenblick nicht weiterkommen. Lass mich dir einen Vorschlag machen: Es gibt da eine Sache, die mich zwingt nach Madrid zu reisen. Wenn ich in ungefähr zwei Wochen wieder zurück bin, werde ich noch ein drittes und, ich verspreche dir, letztes Mal fragen. – Hier!« Er griff in die Brusttasche seiner Jacke und holte ein zusammengerolltes Bündel Peseten hervor. »Da ist etwas Geld. Solltest du es dir in der Zwischenzeit anders überlegen, steigst du einfach in den Zug und kommst in die Hauptstadt. Ich warte jeden Mittag im Retiropark auf dich, unter der Bronzestatue von Ricardo Bellver.«
Francisco hörte gar nicht richtig zu, sonst hätte er vielleicht gefragt, wer dieser Bellver war und was für eine Figur das sein sollte. Trotzig erwiderte er: »Ich will dein Geld nicht.«
»Etwa wegen eures Armutsgelübdes? Sei nicht so zimperlich, Francisco. Erstens liegt deine Ewige Profess noch vor dir und zweitens gehört dir dieses Geld sowieso. Es stammt von deinem Vater – einem Provinzialminister der Franziskaner, der sich nie geziert hat, seinen kirchlichen Einfluss Gewinn bringend umzumünzen! Ich lege die Peseten jetzt hier auf diese Mauer. Was du damit anfängst, überlasse ich dir. Bis bald.«
Genauso tat Vicente es. Nachdem er das Geldbündel auf den Sims unter dem Rundbogen deponiert hatte, verließ er ohne ein weiteres Abschiedswort das Kloster.
Francisco starrte die Banknoten böse an. In ihm tobte ein Sturm. Selbst wenn die Turbulenzen sich bald legen sollten, war nicht klar, ob irgendetwas wieder so sein würde wie zuvor. Unvermittelt hörte er ein lautes Rumoren. Es war Urbano, der etwas durch den Kreuzgang schleppte und dabei einen Höllenlärm veranstaltete.
Francisco schnappte sich das Geld und verschwand leise in seine Zelle.
Die Nacht war eine Tortur, und das jetzt schon zum dritten Mal. Francisco hatte kaum Schlaf gefunden, sondern sich auf seinem Bett nur grübelnd hin und her geworfen. Als er kurz nach sieben Uhr zur Laudes, dem Morgengebet, in die Kirche schlurfte, fühlte er sich wie gerädert. Es fiel ihm schwer, seinen Geist für das Gespräch mit Gott freizumachen. Wie in seinem Kopf eingesperrte Wiesel rasten seine Gedanken ruhelos umher und wollten ihm keinen Moment der Besinnung gönnen. Jahrelang hatte er etwas über seine Herkunft erfahren wollen und jetzt war er unzufrieden mit dem, was sein Bruder ihm erzählt hatte. War er ein Verfluchter, weil seine Eltern gleich mehrere Gebote Gottes missachtet hatten, um ihrer Sinnenlust zu frönen? Hatten die »Wunder«, denen er so viel leidige Verehrung verdankte, am Ende doch einen ganz anderen Ursprung als den des Heiligen Geistes? Wenn Bruder Pedro von allem wüsste… Oder tat er das sogar? War jene blutjunge Estefania, die Pedro geliebt hatte, vielleicht tatsächlich dieselbe Frau, die Jahre später einem blau strahlenden Wunderknaben das Leben schenken sollte? Die hektisch rotierenden Gedanken des Novizen schraubten sich in immer phantastischere Höhen empor. Pedro hatte mehr oder weniger deutlich zugegeben, Estefania immer noch zu lieben. Hatte er in einer schwachen Stunde etwa doch der Versuchung nachgegeben, sein Keuschheitsgelübde vergessen und mit seiner großen Liebe ein Kind gezeugt? War er, Francisco, in Wirklichkeit der Sohn des Guardians von La Rábida?
Sobald diese Überlegung im Kopf des Novizen Gestalt angenommen hatte, ließ sie sich von da nicht mehr vertreiben. Um sich endlich Klarheit zu verschaffen, beschloss Francisco seinem Mentor einen Besuch abzustatten. Bruder Pedro pflegte schon vor der Laudes zu frühstücken, weshalb sich der junge Mann vom Refektorium aus direkt zum Arbeitszimmer seines Lehrmeisters begab. Dort klopfte Francisco an die Tür. Von drinnen ertönte ein gedämpftes »Herein!«.
Der Novize öffnete die Tür und betrat die nicht sehr große Kammer. Auch hier waren die Wände weiß und die Einrichtung spartanisch. Immerhin verfügte der hiesige Wächter der Minderen Brüder über einen großen Eichenholzschreibtisch, zwei Schränke, drei
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