Die unsichtbare Sonne
Richtung auf die Sundhadarta-Berge, deren schiefergraue Gipfel am Horizont sichtbar wurden. Die Ershoka schienen jetzt völlig unbewegt zu sein, aber Falkayn ahnte, daß ein Fluchtversuch aussichtslos gewesen wäre.
Am Ende des zweiten »Tages« wurden sie von einem Reiter überholt, der drei zusätzliche Tiere mit sich führte. Falkayn starrte ihn verblüfft an. Das war doch Hugh Padrick, der Teufel sollte ihn holen! Der junge Offizier winkte ihm fröhlich zu und ritt dann an die Spitze der Kolonne, um mit Stepha zu sprechen.
Die beiden unterhielten sich noch immer, als das zweite Nachtlager aufgeschlagen wurde – diesmal auf einem Hügel zwischen niedrigen gelben Büschen. Die Ershoka gingen nicht gleich schlafen, sondern zündeten kleinere Feuer an und saßen in Gruppen davor, während ein Krug Schnaps die Runde machte. Falkayn hatte nicht die Absicht, sich an diesem fröhlichen Lagerleben zu beteiligen, sondern blieb etwas abseits unter einem Busch sitzen.
Er stand jedoch rasch auf, als er Stepha kommen sah. Sie blieb vor ihm stehen und lächelte. »Wollen Sie uns nicht Gesellschaft leisten?« fragte sie dann freundlich.
»Habe ich eine andere Wahl?« fragte er mit heiserer Stimme.
Die grauen Augen betrachteten ihn ernst. Stepha legte ihm fast schüchtern die Hand auf den Arm. »Tut mir leid, David. So hätte ich Sie nicht behandeln dürfen, nachdem Sie mir das Leben gerettet haben. Nein, das haben Sie wirklich nicht verdient. Aber darf ich Ihnen wenigstens die Gründe dafür erklären?«
Er folgte ihr mißmutig zu einem Feuer, an dem Padrick ein großes Stück Fleisch briet, das er auf sein Schwert gesteckt hatte. »Hallo«, sagte der Ershokh grinsend. »Hoffentlich hat Ihnen der Ausflug bisher gefallen.«
»Was ist aus Adzel geworden?« erkundigte Falkayn sich.
»Keine Ahnung. Als ich ihn zuletzt gesehen habe, war er betrunken wie ein Braumeister in Richtung Palast unterwegs. Ich wollte mich nicht länger als unbedingt notwendig in der Stadt aufhalten, deshalb bin ich zum Urshi-See zurückgegangen, wo ich meine Zandaras versteckt hatte. Dann bin ich hierhergekommen.« Padrick hob seine Feldflasche. »Hier, trinken Sie einen Schluck Schnaps, damit Sie wieder fröhlicher werden.«
»Glauben Sie, daß ich mit Ihnen trinke, nachdem Sie …«
»David«, bat Stepha, »hören Sie uns erst an. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Ihr riesiger Freund ernsthaft in Schwierigkeiten geraten ist. Ihm passiert bestimmt nichts, solange die Kleine noch den Flieger hat. Vielleicht vermutet der Kaiser auch gleich, daß Sie gegen Ihren Willen entführt worden sind.«
»Das bezweifle ich«, stellte Falkayn fest. »Ein Mensch würde vielleicht auf diesen Gedanken kommen, aber die Ikranankaner sehen unter jedem Bett einen Verschwörer.«
»Unsere eigenen Landsleute in der Kaserne haben es jetzt auch nicht leicht«, warf Stepha ein. »Wahrscheinlich kommt es sogar zu einer Auseinandersetzung zwischen ihnen und den anderen Soldaten des Kaisers, nachdem die Stimmung auf beiden Seiten schon fast den Siedepunkt erreicht hat.«
»Das ist aber nicht gerade die beste Methode, einen Klan zu führen«, meinte Falkayn.
»Nein! Wir wollen nur ihr Bestes. Hören Sie doch endlich zu.«
Stepha wies auf eine Satteldecke, die vor dem Feuer ausgebreitet war. Falkayn nahm darauf Platz. Stepha setzte sich neben ihn. Padrick grinste verständnisvoll. »Das Essen ist gleich fertig«, versprach er. »Wie steht es mit dem Schluck Schnaps?«
»Schön, geben Sie das Zeug endlich her!« sagte Falkayn. Er nahm einen kräftigen Schluck, schüttelte sich unwillkürlich und stellte fest, daß er sich tatsächlich weniger Sorgen um Adzel machte.
»Sie gehören zu Bobert Thorns Leuten, nicht wahr?« fragte er dann.
»Richtig«, stimmte Stepha zu, »aber zuerst war ich die einzige. Thorn schickt immer wieder Spione nach Katandara, was nicht weiter schwierig ist, weil die Ikranankaner teilweise auf seiner Seite stehen. Die Einwohner von Rangakora möchten lieber unter seiner Herrschaft als unter der des Kaisers stehen, wenn sie schon erobert werden sollen.
Jedenfalls haben wir erfahren, daß Sie angekommen waren, wußten aber nicht, was wir von den vagen Gerüchten halten sollten. Deshalb machte ich mich auf den Weg, kam im Zwielicht ungesehen durch die feindlichen Linien und ritt in Richtung Haijokota. Dort wurde eine Militärstreife auf mich aufmerksam. Mein zweites Zandara blieb erschossen liegen, und ich wäre beinahe ebenfalls erwischt
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