Die unsterbliche Braut
wäre schön, wenn er wenigstens versuchen würde, mir zu zeigen, dass er sich freut, dass ich da bin. Ich kann nicht …“ Mir versagte die Stimme, und ich brauchte ein paar Sekunden, um den Kloß herunterzuschlucken, der mir im Hals saß. „Ich kann nicht mein halbes Leben mit jemandem verbringen, der mich nicht liebt.“
„Oh Kate.“ Ava nahm mich in den Arm, sorgsam darauf bedacht, mein Make-up und die Frisur nicht zu ruinieren. „Natürlich liebt er dich. Er ist bloß nie besonders gut darin gewesen, seine Zuneigung auch körperlich zu zeigen, das ist alles – und erist ein Mann. Die sind nie gut darin, zu begreifen, was wir wollen, und es dann auch zu tun. Besonders wenn sie für so lange Zeit allein waren wie Henry. Muss ich wirklich die nächsten sechs Monate damit verbringen, sicherzustellen, dass du weißt, wie sehr er dich liebt?“
Ich schniefte. „Nein, aber es wäre schön, wenn er das tun würde.“
„Gib ihm Zeit“, wiederholte sie. „Er ist wahrscheinlich bloß nervös bei all dem, was gerade passiert.“
„Was passiert denn?“, bohrte ich nach und versuchte mich weit genug von ihr zu lösen, dass ich ihr ins Gesicht blicken konnte. Doch obwohl sie sehr sanft war, blieb ihr Griff unerschütterlich fest. „Was geht da mit Calliope vor?“
Ava versteifte sich. „Hat Henry es dir nicht gesagt?“, fragte sie zaghaft.
„Nein, und wenn du’s mir auch nicht sagst, verschmier ich meinen Lippenstift über mein ganzes Gesicht. Und über deins.“
Schnell trat sie einen Schritt zurück und hielt die Hände erhoben, als wollte sie mich abwehren. „Wage es ja nicht. Ich lass die Zeremonie verschieben, wenn ich muss.“
„Ich glaube, das erledigen Henry und James schon für dich“, gab ich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Sag mir, was hier los ist. Ich habe ein Recht, es zu erfahren.“
Sie seufzte. „Das hast du, aber Henry bringt mich um, wenn er rausfindet, dass ich’s dir gesagt hab.“
„Dann werde ich ihm nicht sagen, dass du es warst.“
Nervös blickte Ava sich um und zog an einer ihrer blonden Locken. „Ich erzähl’s dir nur, weil Henry nicht hier ist, um es an meiner Stelle zu tun, denn das solltest du wirklich von ihm hören“, setzte sie leise an, doch ich war mir ziemlich sicher, dass sie es mir sagte, weil sie wusste, dass Henry es eben nicht tun würde. „Calliope ist entkommen. Henry und Daddy und Phillip verraten nicht viel von dem, was da vorgeht, aber … na ja, du hast ja gesehen, in welchem Zustand Henry war. Offensichtlich geschieht irgendetwas Schlimmes.“
Schlimm genug, um einem Gott eine Narbe zuzufügen. „Wie wurde Henry verletzt – haben sie irgendwas gesagt?“
„Irgendwas worüber gesagt?“
Ich wirbelte herum. James kam auf uns zu, das Haar vollkommen zerwühlt und die Jacke an der Schulter eingerissen, aber diesmal war wenigstens nirgends Blut zu entdecken.
„James!“ Ich flog förmlich auf ihn zu, zur Hölle mit Frisur und Make-up. Er fing mich auf und drückte mich fest an sich, und hinter mir hörte ich Ava entrüstet aufkeuchen. Nur ihr zuliebe küsste ich ihn nicht auf die Wange. „Geht’s dir gut? Was ist passiert?“
„Es war nichts“, wiegelte er ab. „Bloß ein kleiner Unfall. Alles in Ordnung.“
„Du meinst, Calliope hatte nichts damit zu tun?“, bohrte ich nach, und gerade als er antworten wollte, schnitt ihm eine zweite Stimme das Wort ab.
„Doch.“
James zuckte zusammen, ließ mich augenblicklich los und trat zur Seite. Von der anderen Seite des Flurs her kam Henry auf mich zu, und im Gegensatz zu James sah er makellos aus.
„Bist du wieder am Verbluten?“, fragte ich und klang frostiger, als ich es beabsichtigt hatte. Henry tat entweder, als hätte er es nicht gehört, oder er war zu abgelenkt, um sich darum zu scheren.
„Mir geht es gut.“ Er deutete auf die Flügeltüren hinter mir. „Ich werde dich hineinbegleiten. Wir sollten den Rest des Rates nicht warten lassen.“
Das war das Letzte, worum ich mir in diesem Moment Sorgen machte, aber als Henry mir seinen Arm bot, ergriff ich ihn. Wenn das so weiterging, war das der engste Kontakt, den ich diesen Winter über mit ihm haben würde.
Ava und James schlüpften durch das Portal, und Henry blickte starr geradeaus, während wir warteten. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich ihn, hielt Ausschau nach irgendwelchen Anzeichen, dass er wieder angegriffen worden war, doch er war gefasstwie immer. Als wäre es ganz alltäglich, dass
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