Die unsterbliche Braut
und nickte einmal zum Gruß. Ich machte es ihm nach und versuchte, stur geradeaus zu blicken, denn ich war mir sicher, wenn ich irgendjemandem in die Augen sähe, würden meine Nerven mit mir durchgehen. Aber irgendwann musste ich doch hinschauen.
Meine Mutter saß in der Mitte, den Rücken kerzengerade und die Augen leuchtend, während sie uns betrachtete. James hatte ganz am Ende Platz genommen, und an der Art, wie er sich in der Bank lümmelte, erkannte ich, wie ungern er hier war. Ich konnte es ihm nicht verdenken.
Alle anderen wirkten zumindest einigermaßen interessiert, doch bevor ich alles in mich aufnehmen konnte, wandte sich Henry mir zu und hielt mir die Hände entgegen, die Handflächen nach oben. Ich zögerte, doch er nickte mir ermutigend zu, und zitternd legte ich meine Hände über seine.
„Kate.“ Er sprach mit normaler Stimme, doch sie hallte durch den gesamten Saal, verstärkt durch Henrys Macht oder die Architektur des Raums oder beides. „Als meine Frau hast du dich bereit erklärt, die Verantwortung als Königin der Unterwelt auf dich zu nehmen. Du sollst gerecht und ohne Vorurteil über die Seelen derer herrschen, die die Welt über uns verlassen haben, und von heute an sollst du dich von der Herbst-Tagundnachtgleiche bis zum Frühling eines jeden Jahres der Aufgabe verschreiben, jene zu führen, die irren, und sie alle vor Schaden über ihr ewiges Leben hinaus zu bewahren.“
Ich konnte nicht mal Henry davon abhalten, auf irgendwelcheSelbstmordkommandos loszuziehen. Wie sollte ich dann jede einzelne Seele an diesem Ort beschützen?
Henrys Hände wurden seltsam warm. Ein warmes gelbes Licht glühte zwischen unseren Handflächen, und ich biss mir auf die Zunge – ich konnte mich kaum davon abhalten, die Finger wegzuziehen. Es würde mehr als ein paar Stunden dauern, bis ich mich an derartige Demonstrationen göttlicher Macht gewöhnt hätte.
„Nimmst du deine Rolle als Königin der Unterwelt an und gelobst, die Verantwortung dieser Rolle und die Erwartungen daran zu erfüllen?“, fragte Henry.
Ich zögerte. Hier ging es nicht um ein Jahr oder fünf oder sogar zehn; das hier war für immer. Ich wusste noch nicht mal, was ich studieren wollte, ganz davon abgesehen, was ich mit dem Rest meines Lebens anfangen wollte, doch hier stand Henry und bot mir eine Wahl. Und für einen Sekundenbruchteil trafen sich unsere Blicke, und ich sah meinen Henry hinter dem fremden Gott, der vor mir stand. Seine Mondlicht-Augen funkelten, die Mundwinkel waren zu einem fast unsichtbaren Lächeln nach oben gezogen, und er schien von innen heraus vor Wärme zu erstrahlen. Jetzt sah er mich an wie damals in Eden, und in diesem Moment hätte ich Himmel und Hölle zerrissen, um ihn niemals zu verlieren.
Doch dann verschwand er wieder hinter der Maske, mit der er die Seite von sich schützte, die Persephone in Fetzen gerissen hatte, und die Realität brach über mich herein. Eine wirkliche Wahl war es nicht, oder? Alles, was ich seit unserem Umzug nach Eden getan hatte, hatte zu diesem Moment hingeführt. Henry hatte mich nicht aus Liebe geheiratet, und das hatte ich von Anfang an gewusst. Er hatte mich geheiratet, weil ich die Prüfungen bestanden hatte, die niemand sonst geschafft hatte, und weil der Rat mir die Unsterblichkeit gewährt hatte. Ich war das einzige Mädchen, das lange genug überlebt hatte, um seine Königin zu werden. Was, wenn er für den Rest der Ewigkeit so blieb? Was, wenn alles, was ich je für ihn sein würde, eine Freundinund Partnerin wäre? So wie er in Eden gewesen war, wie er bis in die frühen Morgenstunden mit mir geredet hatte, wie er mich auf eine Art wahrgenommen hatte wie niemand sonst, wie er seine eigene Existenz aufs Spiel gesetzt hatte, um meine zu retten – was, wenn ich diese Seite von ihm nie wieder sah?
Auf der anderen Seite: Was, wenn dies der Beweis war, den er brauchte, um sicher zu sein, dass ich ihn niemals verlassen würde? Was, wenn dies der letzte Schritt war, um ihm zu zeigen, dass er es wagen konnte, mich voll und ganz zu lieben?
Ich schluckte. Meine Entscheidung hatte ich schon in dem Moment getroffen, als ich ihn geheiratet hatte. Ich liebte ihn, und fortzugehen und ihn vergehen zu lassen stand nicht zur Debatte, was auch immer es mich kosten mochte.
Ich konnte es schaffen. Ich musste es schaffen. Für Henry – für meine Mutter. Für mich. Denn letztendlich wusste ich ohne Henry nicht mehr, wer ich war. Jede Nacht während meines Sommers in
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