Die unsterbliche Braut
alles, und Hilfe suchend griff ich nach der Türklinke, um mich aufrecht zu halten. Von dort aus blickte ich auf die Schlacht, die am anderen Ende des Saals tobte.
Zwölf Mitglieder meiner neuen Familie kämpften, im Zentrum Henry und James, die den Mittelgang versperrten und sich einer Macht entgegenstellten, die ich nicht sehen konnte. Aber fühlen konnte ich sie, tief in mir und bis in jede Nervenzelle meines Körpers. Was auch immer es war, es schien die Unterwelt in ihren Grundfesten zu erschüttern.
Blut tropfte an James’ entblößtem Arm herab, als er darum kämpfte, das Monster mit der unverletzten Hand aufzuhalten. Neben ihm stand Henry, eine unverrückbare Macht, und ich konnte mich nicht von seinem Anblick losreißen.
„Brüder!“, rief Henry. „Auf mein Kommando! Und los!“
Zu dritt schritten die Brüder auf den Nebel zu, hinter ihnen formierten sich die anderen in einem Dreieck. Unermessliche Macht strahlte von jedem Einzelnen aus. Dylan und die rothaarige Irene bildeten die Spitze, doch sie bekamen keine Gelegenheit, das Ding anzugreifen.
Innerhalb von Sekundenbruchteilen flogen Henry und seine Brüder aufwärts aus dem Fenster hinaus und rissen den Nebel mit sich.
Nach dem Kampfgetöse hallte die Stille in meinen Ohren geradezu gespenstisch wider, und schließlich ließ ich mich zu Boden sinken. Die meisten der verbliebenen Ratsmitglieder versammelten sich bei den Thronen, doch James und meine Mutter eilten auf uns zu.
James erreichte mich zuerst; schon ein paar Meter von mir entfernt ließ er sich auf die Knie fallen und schlitterte bis zu mir. „Es hat dich erwischt, oder? Theo!“, schrie er über seine Schulter hinweg, und ich zuckte zusammen.
„Hör auf damit“, protestierte ich. „Du bist auch verletzt.“
„Ich weiß, aber der Unterschied ist, dass, wenn ich sterbe, Henry die Welt nicht in Stücke reißt.“ Die unverletzte Hand ließ er über meinem blutenden Knie schweben, wagte es aber nicht, mich zu berühren. Ich konnte ihm keinen Vorwurf daraus machen. Langsam lief mir das Blut am Bein herab und sammelte sich an meiner Ferse. Und jetzt, da die Bedrohung fort war – wenn auch nur vorübergehend –, hatte ich das Gefühl, als stünde jeder Nerv in meinem Körper in Flammen. Noch nie in meinem Leben hatte ich derartige Schmerzen gespürt, nicht einmal, als Calliope mich getötet und in den Fluss geworfen hatte.
Nun war auch meine Mutter da und sah sich die Verletzung an, doch sie sagte nichts. Stattdessen schlüpfte sie hinter mich und nahm Ava beim Ellbogen. Avas Wangen hatten in der Zwischenzeit wieder etwas Farbe bekommen, und als meine Mutter versuchte, sie wegzubringen, blieb Ava wie angewurzelt vor mir stehen.
„Du hast mich gerettet“, sagte sie und zitterte dabei, als stünde sie barfuß im Schnee. „Es hätte mich getötet, wenn du mich nicht weggestoßen hättest.“
„Schon okay“, wiegelte ich ab. „Du hättest dasselbe für mich getan.“
Ava schwieg. Wieder versuchte meine Mutter, sie an mir vorbeizuschieben, doch dieses Mal ließ sich Ava neben mir niedersinken. „Du verstehst nicht“, beharrte sie und schaute mich aus großen Augen ernst an. „Sie sind die einzigen Wesen, die uns töten können, und du hast mein Leben gerettet.“
Hin- und hergerissen zwischen brennender Neugier und unerträglichem Schmerz stieß ich hervor: „Warum hat es uns angegriffen? Warum ist es nicht auf Henry und Walter und Phillip losgegangen?“
„Weil Calliope es geschickt hat“, erklärte James, während er sich weiter an meinem Bein zu schaffen machte. Über die Schulter hinweg rief er: „Theo, sie braucht dich jetzt, nicht nächste Woche.“
Endlich schlurfte Theo den Gang herab auf uns zu. Das lockige Haar fiel ihm in die Stirn. Ella hielt mit ihm Schritt, doch den Blick hielt sie zu Boden gerichtet. Das einzige Mal, dass ich sie so gesehen hatte, war gewesen, als Theo im letzten Jahr zu Weihnachten angegriffen worden war. Es war erschütternd, die immer selbstbewusste Ella so vollkommen hilf- und ratlos zu sehen, und ich erschauerte.
„Es hat sie erwischt“, sagte James und deutete auf mein Bein. Neben mir ließ sich Theo nieder und legte mir die Hände aufs Knie. Ich war schon einmal von Henry geheilt worden und rechnete damit, dass von Theo dieselbe tröstende Wärme ausgehen würde.
Stattdessen strömte flammendes Licht durch meine Wunde und trieb den tiefen, fast unerträglichen Schmerz heraus. Brennende Hitze trat an seine Stelle, und ich
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