Die unsterbliche Braut
nickte, zögerte er kurz, schritt dann durch den Vorraum und gab mir einen Kuss auf die Wange. Er verabschiedete sich nicht, und ich war dankbar für dieses kleine Zeichen, dass der Rat keine Angst hatte, die Welt könne bald untergehen.
„Komm“, wandte sich meine Mutter an mich und hielt mir die Hand hin. „Lass uns dich irgendwohin bringen, wo du dich ausruhen kannst.“
Ich wollte protestieren. Wenn Henry sich nicht ausruhen konnte, welches Recht hatte ich dann darauf, während er da draußen war und gegen einen Titanen kämpfte? Doch ich wusste es besser, und so widersprach ich ihr nicht. Sturheit lag bei uns wirklich in der Familie.
Vorsichtig stützten Ava und sie mich, während ich langsam zum Schlafzimmer zurückhumpelte. Es war beschämend, dass mein Bein sich immer noch anfühlte, als stünde es in Flammen, obwohl die Wunde verschwunden war und die anderen von weit schlimmeren Verletzungen völlig unbeeindruckt zu sein schienen. Ich versuchte ohne Hilfe zu gehen und den Schmerz zu ignorieren, aber das endete nur mit der Peinlichkeit, dass ich nach ein paar qualvollen Schritten anhalten und mich an die Wand lehnen musste. Schließlich gab ich nach und ließ mir von ihnen helfen.
Als ich schließlich in meinem Bett an einem Berg von Kissen und Seide lehnte, verabschiedete sich meine Mutter. „Ich würde ja bleiben, aber die anderen brauchen mich auch“, entschuldigte sie sich.
„Ich weiß“, versuchte ich sie zu beruhigen. Was auch immer die anderen beredeten, war mit Sicherheit wichtiger, als hier bei mir herumzusitzen. Ich wünschte mir, sie würde bleiben, aber hier unten war sie nicht nur meine Mutter – sie hatte weit wichtigere Aufgaben, als bloß meine Hand zu halten, wenn es mir schlecht ging.
Nachdem ich ihr versprochen hatte, sie wissen zu lassen, wenn ich irgendetwas brauchte, ging sie schnellen Schrittes und sichtlich besorgt aus der Tür. Ihre offensichtliche Sorge nagte mehr an mir als alles andere, was an diesem Tag geschehen war, bis ich vor Angst ganz krank war.
„Es wird alles wieder gut, oder?“, fragte ich Ava, als sie es sich neben mir gemütlich machte. Pogo sprang aufs Bett und kuschelte sich zwischen uns, und abwesend streichelte ich ihm das Fell. Wenigstens bei ihm konnte ich mich darauf verlassen, dass er sich keine Sorgen machte.
Ava antwortete nicht sofort. Zuerst war ich mir nicht sicher, ob sie mich gehört hatte, und wandte ihr den Kopf zu, doch dann sah ich, dass sie wieder weinte.
„Ich weiß es nicht“, flüsterte sie. „So etwas ist noch nie passiert. Egal, wie oft sie sich gestritten haben, sie haben niemals Unschuldige verletzt. Wir sind dazu da, sie zu beschützen, und die sechs waren in der Beziehung immer eisern, weißt du? Das war der Grund, warum wir niemals darauf gekommen sind, dass es Calliope war, die Henrys Mädchen umgebracht hat. Es ist einfach … So etwas hat sie noch nie getan. Keiner von ihnen.“
Verzweifelt legte sie den Kopf an meine Schulter, und ich zwang mich, den Kloß in meinem Hals herunterzuschlucken. Ava brauchte wesentlich dringender Aufmunterung als ich.
„Die schaffen das schon“, versprach ich ihr, obwohl ich keinen Schimmer hatte, ob das die Wahrheit war. „Sie sind stark, nicht wahr? Der Rat. Und sie ist eine gegen dreizehn.“
„Aber sie hat Kronos“, erinnerte mich Ava schniefend. „Wenn er erst wieder zu alter Stärke gefunden hat, kann niemand von uns etwas gegen ihn unternehmen. Zu sechst haben sie beim ersten Mal Ewigkeiten gebraucht, und der einzige Grund, warum wir den Krieg gewonnen haben, war das Überraschungsmoment. Die Titanen hätten nie damit gerechnet, dass sie sich gegen sie wenden würden. Aber jetzt …“
Jetzt wusste Kronos, womit er zu rechnen hatte, und er hattefast die gesamte Menschheitsgeschichte lang Zeit gehabt, sich eine Strategie auszudenken, wie er sie besiegen konnte. „Aber jetzt seid ihr mehr“, erinnerte ich sie und brachte es Ava zuliebe fertig, das Zittern in meiner Stimme zu unterdrücken. Meine eigenen Ängste zu verdrängen war wesentlich leichter, wenn es ihr so schlecht ging. „Ihr könnt auch dieses Mal gewinnen.“
Ava wischte sich die Wangen trocken und warf mir einen hoffnungslosen Blick zu. Schockiert blinzelte ich. Auch wenn sie ihre Momente des Zweifels hatte, Ava war immer überschäumend fröhlich und optimistisch gewesen, hatte das Beste in jeder Situation gesehen, so schlimm es auch aussah. Nachdem sie in Eden gestorben war, hatte sie sich mit vollem
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