Die unsterbliche Braut
mussten, genau wie Henry wegen Persephone fast vergangen war. Doch es ergab keinen Sinn. „Warum hat Persephone dann ihre Unsterblichkeit aufgegeben, wenn sie doch tun konnte, wassie wollte? Sie hatte mit Henry denselben Deal wie ich, oder? Sechs Monate im Jahr bin ich seine Frau und helfe ihm beim Regieren, und in den anderen sechs kann ich tun, was ich will.“
Scheinbar aus dem Nichts warf mir Ava einen gelben Apfel zu. Ich fing ihn auf, biss aber nicht ab. „Zuerst war es nicht so“, setzte sie an und warf einen Blick zu James, der mit abwesendem Gesichtsausdruck in den Wald starrte. „Henry hat ihr das angeboten, als ihm klar wurde, wie unglücklich sie hier unten war. Niemand von uns hält das die ganze Zeit aus, abgesehen von ihm.“
„Die meisten Ratsmitglieder kommen nicht mal zu Besuch“, schaltete sich James wieder ein. „Unsere Fähigkeiten sind hier unten blockiert, und …“
Ein lautes Geräusch ließ ihn innehalten.
Über mir ächzte Holz, und als ich den Blick nach oben wandte, um zu sehen, was los war, stieß mich Ava von dem Baumstamm herunter und zu Boden, gefährlich dicht ans Feuer. Reflexartig riss ich meine Hand weg von den Flammen, während ein ohrenbetäubendes Krachen hinter mir die Welt in Staub versinken ließ.
Hustend rappelte ich mich auf und stolperte, als mein Fuß dort auf zersplittertes Holz traf, wo ich vor wenigen Sekunden noch gesessen hatte.
„Ava?“, flüsterte ich ängstlich. „James?“
Verzweifelt kniff ich die Augen zusammen und versuchte etwas zu erkennen. Doch bevor sich der Staub weit genug legte, dass ich irgendetwas sah, das sich mehr als ein paar Zentimeter von meinem Gesicht entfernt befand, packten mich zwei Hände an den Schultern und rissen mich nach hinten.
„Komm schon“, blaffte James mich an und zog mich von dem Baumstamm fort. „Wir müssen hier weg.“
„Aber Ava …“
„Ich bin hier“, fiel sie mir ins Wort, ein oder zwei Meter zu meiner Linken. „Los.“
James schleifte mich mit sich, und ich stolperte über Steine und Wurzeln, die ich nicht sehen konnte. Ein weiteres Krachen halltedurch den Wald, und ich sprang nach vorn, die Hände schützend über den Kopf erhoben. Der zweite umstürzende Baum verfehlte mich nur um Zentimeter.
„Was geht hier vor?“ Mein Bein tat mittlerweile schlimmer weh als bei unserem Aufbruch aus dem Palast, und ich musste mich anstrengen, mit den anderen beiden mitzuhalten. Je weiter wir kamen, desto klarer wurde die Luft, und ich sah James die Hand über den Kopf halten, als versuchte er etwas abzuwehren.
„Kronos“, antwortete er knapp, als ein weiterer Baum ächzte. „Er hat uns gefunden.“
7. KAPITEL
OASE
Bei all den Dingen, die in meiner Vorstellung auf dieser Reise durch die Unterwelt hätten schiefgehen können, war ich nie auf den Gedanken gekommen, Kronos könnte versuchen, uns aufzuhalten.
Ich hatte versucht, mir eine Strategie zurechtzulegen für den Fall, dass Persephone sich weigerte, mitzukommen. Ich hatte mir überlegt, was wir tun könnten, wenn wir die Höhle nicht fanden. Und auch wenn ich tief in meinem Herzen wusste, dass es keine andere Möglichkeit gab, hatte ich mit aller Kraft versucht, eine andere Lösung zu finden, als mich zu opfern.
Niemals, nicht ein einziges Mal, hatte ich damit gerechnet, Calliope könnte darauf kommen, dass wir auf dem Weg zu ihr und ihren Gefangenen waren, und Kronos schicken, um uns aufzuhalten.
Das war natürlich ziemlich dumm von mir gewesen.
Nicht dass es vieles gab, das wir uns für diesen Fall hätten überlegen können, außer Hals über Kopf zu fliehen – und genau das taten wir jetzt. Unnachgiebig umklammerte James meine Hand, während wir zwischen den Bäumen hindurchliefen, und Ava folgte kurz hinter uns. Gemeinsam schienen die beiden genug Kraft zu haben, Kronos abzuwehren.
Das hielt die Bäume jedoch nicht davon ab, zu Boden zu krachen. Mehr als einmal stieß James mich zur Seite, einen Sekundenbruchteil bevor mir eine Eiche oder ein Ahornbaum den Schädel einschlug. Sie alle waren in denselben Nebel eingehüllt, der mir das Bein aufgeschlitzt hatte.
Ich wusste nicht, wie lange wir rannten, doch es war lange genug, dass meine Lungen sich anfühlten, als stünden sie in Flammen. Die Bäume boten etwas Schutz, doch jedes Mal, wenn ich über die Schulter blickte, schien Kronos näher gekommen zu sein.
Wir konnten nicht ewig weiterlaufen, und ich war mir sicher, dass James und Ava ihn nicht lange genug in Schach halten
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