Die unsterbliche Braut
nicht zwingen, aber er tat es nicht von selbst, und ich wusste nicht mehr, was ich fühlen sollte. Nicht wenn ich meine gesamte Zukunft für einen Wunschtraum aufgab.
Nachdenklich berührte ich die Blume aus rosa Quarz und Perlen in meiner Hosentasche. Die Dinge, die er vor der Zeremonie zu mir gesagt hatte – seine Versicherung, dass er mich bei sich haben wollte. Das war genug. Es musste genug sein.
„Ja“, sagte James, ohne zu wissen, wie tief mich dieses eine Wort traf. „Es ist deine Schuld. Du hast das hier akzeptiert, in guten wie in schlechten Zeiten, und du musst dem Ganzen mehr als einen Tag geben. Ich kann verstehen, was du durchmachst, aber dich jetzt dafür zu zerfleischen bringt gar nichts. Reiß dich zusammen, krieg in deinen Schädel, dass Henry dich tatsächlich liebt, und mach weiter. Wir haben Wichtigeres zu tun.“
James hatte recht. Ich musste mich zusammenreißen. Zuerst mussten wir das hier schaffen, und dann konnte ich die Sache mit Henry in Ordnung bringen. Wenn ich ihn jemals wiedersah.
Als ich die Zeremonie im Kopf noch einmal durchspielte, diese letzten Minuten, in denen ich ihn gesehen hatte, schloss ich die Augen und holte zitternd Luft. „Ich hab gezögert.“
Einen Moment herrschte Stille, und dann fragte Ava ängstlich: „Was?“
„Während der Krönung, als Henry mich gefragt hat, ob ich das alles will. Ich hab gezögert.“
„Ist mir aufgefallen“, kommentierte James. Als ich aufsah, stand er an einen Baum gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt und das Gesicht von Erschöpfung gezeichnet. Natürlich war es ihm aufgefallen. „Es hat keine Bedeutung, also interpretier da nichts rein. Es war dein gutes Recht, zu zögern.“
„James!“, protestierte Ava, doch er zuckte nur mit den Schultern.
„Ist doch so. Du weißt, dass es so ist. Wir können alle so tun, als ginge es hier allein um Henry und als hätte Kate einfach nur unglaubliches Glück, aber erinnerst du dich daran, wie es fürdich war, als du das Menschsein aufgegeben hast? Das ist kein leichter Übergang.“
„Was auch immer ich damals hatte, war nichts im Vergleich zu dem, was ich jetzt mit euch allen habe. Jeder hier liebt mich“, entgegnete Ava, und James lächelte schwach.
„Klar, wir sind alle ein bisschen in dich verliebt“, gestand er ihr zu. „Aber das ist bloß, weil du verdammt gut im Bett bist. Davon abgesehen bist du ’ne echte Nervensäge.“
Ava holte aus, um ihm einen Klaps zu verpassen, und während die angespannte Stimmung verflog, versuchte ich angestrengt, mir die beiden nicht zusammen vorzustellen. „Ihr zwei …“, fragte ich leise.
James blickte konzentriert ins Feuer, und Ava zuckte mit den Schultern. „Ich bin die Göttin der …“
„… Liebe und des Sex. Ja, hab ich mitgekriegt.“ Ich runzelte die Stirn. „Gibt es eigentlich irgendjemanden, mit dem du nicht geschlafen hast?“
„Daddy und Henry“, antwortete sie wie aus der Pistole geschossen, und das war wohl besser als nichts. „Obwohl Daddy rein technisch gesehen nicht mein Vater ist, wär das trotzdem tabu.“
„Walter ist nicht dein Vater?“, hakte ich nach. „Das wusste ich nicht.“
„Ich bin adoptiert“, erklärte sie stolz. „Ist ’ne lange Geschichte, aber was ich eigentlich sagen wollte, ist, dass Henry dich wirklich liebt und dass die Dinge sich bessern werden. Dies ist bloß der Anfang – stell dir mal vor, wie sehr dich alle in tausend Jahren lieben werden und wie sehr du sie lieben wirst.“
„Oder hassen“, ergänzte James sachlich.
„Was tendenziell ein und dasselbe ist“, gab Ava zurück. „Liebe vor der Hochzeit ist was Neues, weißt du – all unsere Ehen waren arrangiert, und wir mussten alle erst hineinwachsen. Ich hab Ewigkeiten gebraucht, um mich in meinen Ehemann zu verlieben, aber mit der Zeit sind wir an diesem Punkt angekommen, und es war das Warten wert.“
Mir fiel die Kinnlade herunter. „Du bist verheiratet ?“
„Na du doch auch.“
Ich warf ihr einen bezeichnenden Blick zu. Henry war wenigstens der einzige Mann, mit dem ich je zusammen gewesen war.
„Komm mir nicht so“, sagte Ava. „Ich weiß, was du denkst. Zugegeben, du bist ein bisschen jung – Daddy hat mich verheiratet, als ich hundert geworden bin, weil ich ihm immer solche Kopfschmerzen bereitet habe, hat er gesagt –, aber irgendwann wirst du es begreifen. Die meisten Sterblichen leben bloß siebzig oder höchstens achtzig Jahre. Warte erst mal ab, bis du die nächsten
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