Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
Pillen ausprobiert.«
»Hast du Depressionen?«
»Ab und zu. Du kennst mich. Wenn ich Zeit habe, um über gewisse Dinge nachzudenken, dann bemerke ich, was für ein Wrack ich bin.«
»Du siehst gut aus.«
»Es ist noch früh. Am Vormittag sehe ich immer am besten aus. Bevor der Tag beginnt, mich fertigzumachen.«
»Wie geht es dem Kleinen?«
»Tony klettert schon herum«, sagte sie. »Er klettert auf allem herum – auf Treppen, Schachteln, Regalen, Tischen. Es ist, als würde er glauben, gerade eine Goldmedaille gewonnen zu haben. Es ist wirklich süß. Alles ist gut. Alles ist in Ordnung. Dave und Tony geht es gut. Alle sind glücklich und gesund, und wir können uns frisches Wasser leisten, das ist das Wichtigste.«
»Hast du Kontakt zu Mark?«
»Ich habe ihn vor einigen Wochen im Supermarkt gesehen. Er hatte seine neuen Kinder dabei. Wir haben uns gesehen und uns freundlich zugewinkt. Das war alles.« Sie machte eine Pause. »Es fühlt sich noch immer so an, als wäre er noch mein Ehemann, weißt du. Ich sehe ihn mit seinen neuen Kindern, und ich beginne zu brodeln und Blitze zu spucken. Etwas stimmt nicht. Es ist, als wäre ich wiedergeboren worden, aber Gott oder wer auch immer hat dafür gesorgt, dass ich mich an jedes verdammte Detail aus meinem früheren Leben erinnern kann. Dann komme ich zu Dave nach Hause und denke mir: ‚Warte, habe ich mir einen Ersatz-Mark angeschafft? Und sollte dieses Kind nicht mein Enkel sein? Sollte ich ihn nicht irgendwann wieder bei meiner netten, vernünftigen Schwiegertochter abgeben?‘ Wie viele Klone meines Ehemannes muss ich noch durchstehen? Werde ich in zweihundert Jahren merken, dass ich meinen achten Ehemann bereits fünf Ehemänner zuvor geheiratet habe? Ich wollte nur ein paar Orangen kaufen und landete in einem existenziellen Wirrwarr. Das reicht also, um mich vollkommen verrückt zu machen.« Sie holte eine offene Chips-Tüte hervor. »Möchtest du?«
In diesem Augenblick rief eine Krankenschwester meinen Namen. Ich sprang auf und versuchte, ihre Aufmerksamkeit zu erregen, für den Fall, dass sie entschied, mich zu ignorieren und mich wieder in die Schlange vor der Notaufnahme zurückzuschicken. Sie winke mich nach vorn. Ich umarmte Ken flüchtig und bedankte mich für seine Hilfe. Er verschwand, ohne nach seinen Kleidern zu fragen.
Sie brachten Polly und mich in den Trakt der Notaufnahme und setzten mich auf einen einsamen Stuhl in der Mitte des Flurs. Ich war noch immer nicht krank genug, um ein eigenes Zimmer zu verdienen. Dutzende Patienten in Rollstühlen und auf Bahren standen entlang der Wände. Sie zogen mich aus, rasierten einige Stellen auf meiner Brust, schlossen mich an einen WEPS-Monitor an und machten ein EKG. Dann ließen sie Polly und mich wieder drei Stunden warten. Wir vertrieben uns die Zeit damit, zu wetten, ob eine der Schwestern, die den Flur hinuntergingen, stolpern und hinfallen würde. Ich erzählte ihr nichts von Julia.
Während wir zockten, fiel mir ein Patient auf, der den Flur hinuntergeschoben wurde. Im Gegensatz zu den anderen Patienten war er der einzige, der so behandelt wurde, als wäre er tatsächlich ein Notfall. Krankenschwestern und Ärzte folgten ihm. Ich hatte die ganze Nacht und den ganzen Tag noch keinen Arzt gesehen. Es war, als hätte ich einen Blick auf einen Kinostar auf dem roten Teppich erhascht. Da ist er! Und sie alle bewegten sich so schnell, als wären sie tatsächlich daran interessiert, das Leben des Patienten zu retten. Das kam in diesen Tagen in einem Krankenhaus nicht gerade häufig vor.
Der Mann sah älter aus, möglicherweise zwischen fünfzig und sechzig. Er lag auf dem Rücken, und sein Kopf zeigte in meine Richtung, während sie ihn vorbeischoben. Ich konnte die Flecken auf seiner Haut sehen, vor allem auf seinem Gesicht. Dunkelviolette Spinnweben überzogen sein Gesicht und seinen Hals bis hinunter zum Hemdkragen. Eine kupferrote Flüssigkeit trat an seinen Mundwinkeln hervor, wie eingefärbter Ahornsirup. Er hustete und keuchte fürchterlich, es war ein beunruhigendes Röcheln. Es war so laut, dass alle im Flur sich aufsetzten und ihn ansahen. Sie brachten ihn rasch in eines der Zimmer. Eine der Krankenschwestern blieb zurück und ließ die anderen ohne sie hineingehen. Sie schnappte sich einen Infusionsbeutel und ein Spritzenset von einem der Wagen im Flur. Dann zog sie ihre Latex-Handschuhe aus und kam auf mich zu. Sie griff nach meinem Arm. Ich sah, dass sie ein wenig der kupferroten
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