Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
Nicht jeder gottverdammte Mensch, den man trifft, ist ach so wertvoll. Einige von ihnen sind weniger wert als meine Scheiße. Und sie müssen vernichtet werden.«
»Ich verstehe Ihre Trauer. Wir haben eine Gruppe, die –«
»Raus.«
»John, das ist nicht der richtige Weg, um damit umzugehen –«
»RAUS!«
Er verschwand. Ich stand da und versuchte vergeblich, mich an so viele Dinge wie möglich über David und Sonia und Nate zu erinnern. An ihre Haare, ihre Augen, ihre Hände, ihre Ohren. Daran, wie leise und ruhig Sonia gesprochen hatte, wenn wir uns stritten. Wie Nate während Davids Geburt meine Hand gehalten hatte. Wie David als Kleinkind ausgesehen hatte, wenn er auf seiner Unterlippe herumgekaut hatte. Ich versuchte es festzuhalten wie einen umgeworfenen Drink, der auf die Tischkante zuläuft. Ich versuchte, ein Abbild von ihnen in meinen Gedanken zu formen, an das ich mich würde erinnern können, doch ich merkte, dass die Erinnerungen wie in Sand gezeichnet waren und schnell verschwanden. Alles, was ich sehen konnte, war eine rote, spitze Flamme – ein gerechter Zorn, der die Lebensenergie der Lebenden und der Toten auf mich übertrug. Und mir letztlich auch Klarheit verschaffte.
Mein WEPS klingelte. Ich nahm den Anruf entgegen. Es war Matt. Er hielt ein Glas Champagner in der Hand. Er hielt inne, als er mich sah. »Du siehst nicht gut aus«, sagte er.
»Das tue ich nie.«
»Ich habe gute Nachrichten, falls du sie hören möchtest.«
»Okay.«
»Wir haben die Berechtigung erhalten, harte Euthanasie durchzuführen. Wir können sofort mit dem paramilitärischen Training beginnen. Knallhart, Mann.«
»Gut. Gut. Das kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Es ist beinahe eine göttliche Fügung. Ich komme gleich vorbei.«
»Möchtest du sehen, wen uns die Tracking-Agentur als erste Zielperson genannt hat? Ich kann dir die Daten schicken.«
»Ja.«
Ich beendete das Gespräch. Zwei Sekunden später erhielt ich eine Nachricht. Ich öffnete sie und sah das Bild einer wahnsinnig attraktiven Blondine mit einem aufsehenerregenden Körper. Ihre atemberaubende Schönheit war unverkennbar. Ihr Name stand in der Überschrift: Solara Beck. Das war sie. Die Blondine, nach der ich die ganze Zeit gesucht hatte. Das Mädchen an der Ecke. Das Mädchen aus der Praxis von Dr. X. Das Mädchen, das ich ständig in einer Menschenmenge zu sehen glaube, obwohl sie nicht da ist. Die rote Flamme brannte heißer. Ich schnappte mir meine Pistole und ging zur Tür hinaus.
Ich bin bereit für diesen Job. Ich bin jetzt sofort bereit dazu. Ich habe einen Zweck zu erfüllen. Ich bin die Korrektur.
GEÄNDERT AM:
01.07.2059, 21:47 Uhr
IV
KORREKTUR
JUNI 2079
(ZWANZIG JAHRE SPÄTER)
»Wir hatten keine Angst, sie zu lieben, als wäre sie eine von uns«
Aus Bruces Feed:
Mrs. O’Neills Schafe
von Dara Hughes, iWire
Frederica war fünfunddreißig Jahre alt, als Abby O’Neill bemerkte, dass etwas mit ihr nicht stimmte.
»Sie sah nicht gut aus«, sagt O’Neill. »Wenn man ein Schaf so lange kennt, dann weiß man, wenn es ihm nicht gut geht.«
O’Neill hatte Freddie 2023 als Lamm von einem benachbarten Farmer gekauft. Als sie vollständig ausgewachsen war, brachte sie O’Neill zu einem Biochemiker, der sich auf Nutztiere spezialisiert hatte und in der Nähe ihrer Farm in Goshen, Connecticut, arbeitete. Sie ließ Freddie deaktivieren.
»Es wurde der Original-Vektor verwendet«, sagt O’Neill. »Das war in den Jahren vor der Erfindung von Vectril. Sie mussten Freddie auf einem Tisch festschnallen und ihr drei große Spritzen verabreichen. Ich hätte nicht erwartet, dass es eine so intensive emotionale Erfahrung sein würde, mit ihr in diesem Raum zu sein. Das ist das Seltsame an uns Farmern. Ich verbringe den ganzen Tag mit diesen Tieren. Ich melke die Kühe. Ich füttere die Hühner. Ich beruhige die Pferde, wenn sie sich unwohl fühlen. Ich habe schon viele Tiere getötet, doch das bedeutet nicht, dass es mir leichtfällt. Ich mag alle Tiere, die wir hier aufziehen. Wenn man sie berührt und ihnen in die Augen sieht, dann hat man das Gefühl, eine Verbindung zu ihnen zu haben. Sie sind nicht bloß eine Packung Fleisch, die man im Supermarkt kaufen kann.«
Abby nahm Freddie noch am selben Abend mit nach Hause, und bald schon wurde Freddie zu einem wichtigen Bestandteil des Haushalts der O’Neills, denn sie bescherte der Familie jedes Jahr im Mai etwa sechseinhalb Kilogramm frische Wolle – gute zweieinhalb Kilogramm
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