Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
mehr als ein durchschnittliches amerikanisches Schaf.
»Wir haben die Wolle für alles Mögliche benutzt – wir haben Kleider, Ofenhandschuhe und Überzüge für die Butterdose daraus gestrickt«, sagt O’Neill. »Ich habe die Schränke meiner Kinder geöffnet und gescherzt, dass Freddie diese aufgefüllt hätte. Wir ließen Freddie sogar ins Haus. Das haben wir mit keinem anderen Schaf getan.«
Zusammen mit Wally, ihrem »Ehemann«, schenkte Freddie der Familie mindestens einmal, manchmal sogar zweimal im Jahr ein neues Lamm. Zwei Jahre, nachdem sie Freddie gekauft hatten, erwarb die Familie zwei weitere Mutterschafe und ließ sie deaktivieren. Die O‘Neills ließen außerdem drei Kühe und ein Dutzend Hühner deaktivieren, um das ganze Jahr über eine scheinbar endlose Versorgung mit Kalbfleisch, Milch, Hühnerfleisch und Eiern sicherzustellen.
Zusätzlich zum Vektor erhielt jedes Tier auf der Farm der O’Neills Impfungen gegen eine Reihe von Krankheiten, darunter Tetanus, Enterotoxämie Typ C und D, Tollwut und Fußfäule. Zwei der Impfungen, die Freddie und der Rest der Tiere erhalten haben, waren Grippeimpfungen.
»Wir dachten uns nichts dabei«, sagt O’Neill. »Die Verabreichung der Impfungen war reine Routine.«
Die nächsten dreißig Jahre lebten Freddie und die anderen Tiere auf der Farm der O’Neills und schienen zumindest äußerlich vollkommen gesund zu sein. Die Farm gedieh, auch wenn die umliegende Landschaft sich immer mehr in einen städtischen Lebensraum verwandelte. Doch als die Jahre vergingen, ergaben sich aus den Impfungen unvorhersehbare Konsequenzen.
»Es lässt sich unmöglich sagen, wie lange sich der Erreger der Schafgrippe exakt in Freddies Körper befunden hat«, sagt der Biochemiker Arlen Maxwell am Telefon. »Meine Theorie geht davon aus, dass der Stamm Jahre gebraucht hat, um sich zu entwickeln. Das Grippevirus attackierte Freddies Körper vermutlich einige Male, doch es wurde stets von ihrem Immunsystem zurückgeschlagen. Die Natur hat jedoch eine uneingeschränkte Kraft, ihre Viren zu ihrem Nutzen zu adaptieren und sich damit selbst zu erhalten. Die Sache erinnert an eine Gruppe Einbrecher, die versuchen, in einen Banktresor einzubrechen. Vielleicht scheitern sie die ersten Dutzend Male. Doch sie schmieden immer neue Pläne, versuchen immer wieder hineinzukommen. Und solange sie nicht entdeckt werden, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie es schaffen.«
Und sie haben es tatsächlich geschafft. Anfang 2059 ließ O’Neill Freddie ins Haus und bemerkte, dass die Augen des Schafs eine tiefgelbe Färbung aufwiesen. Sie fuhr mit Freddie zu einem Tierarzt in Goshen namens David Millet, der bereits seit Jahren die Tiere der Familie betreute. Er konnte keine Diagnose stellen und schlug O’Neill vor, Freddie zur weiteren Beobachtung bei ihm zu lassen.
»Ich hätte es beinahe nicht getan«, erinnert sich O’Neill. »Ich meine, es war immerhin Freddie. Wir hatten sie seit Jahren, und es gab keinen Grund anzunehmen, dass sie nicht für immer bei uns bleiben würde. Das war das Schöne an der Tatsache, dass wir sie hatten deaktivieren lassen. Das war der Grund, weshalb wir sie ins Haus ließen. Wir hatten keine Angst davor, eine Bindung aufzubauen. Wir hatten keine Angst davor, sie zu lieben, als wäre sie eine von uns. Meine Kinder kuschelten im Bett mit ihr, und ich musste nie daran denken, wie furchtbar es werden würde, ihnen sagen zu müssen: ‚Wisst ihr, Freddie ist jetzt im Schafhimmel.‘ Das ist der Segen, den das Heilmittel uns gebracht hat. Es ging nicht um die Wolle oder das Essen. Es ging um die Tatsache, dass man sich keine Sorgen machen musste, dass die Liebe jemals ein Ende haben würde.«
Auf Millets Drängen hin ließ O’Neill Freddie über Nacht bei ihm und fuhr nach Hause zu ihrer Familie. Als sie am nächsten Morgen zur Praxis zurückkehrte, standen ein Rettungswagen und ein Polizeiauto vor dem Haus. O’Neill erinnert sich, wie ein örtlicher Polizist aus Millets Haus kam und ihr erklärte, dass Freddie, Millet und Millets Frau mitten in der Nacht plötzlich verstorben waren und die Sanitäter vor Ort angeordnet hätten, das Haus abzusperren.
»Ich wusste nicht, was los war«, sagt O’Neill. »Und der Polizist hatte auch keine gute Erklärung dafür. Ich fragte, ob ein Verbrechen geschehen sei, und er verneinte. Er sagte, dass sie scheinbar an einer sehr schweren Krankheit gestorben waren, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Er erzählte von den
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