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Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Titel: Die Unsterblichen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Drew Magary
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setzte mich. Ich sah zu Solara hinüber. Sie ließ Olivia nicht eine Sekunde aus den Augen. Die Frau sah nach oben durch das Dach aus schroffen, nassen Ästen. Die Blätter glänzten wie Geschenkpapier. Der Himmel war grau und flach, als wäre er so erschaffen worden. Ihre Augen wanderten von links nach rechts. Auf ihrem Gesicht stand starker Fieberschweiß. Große, dicke Tropfen rollten von den Blättern über ihr auf sie herab und wuschen die Schweißperlen fort. Sie sah aus, als würde sie sich wohlfühlen, wenn auch nur für einen Moment. Ihre Iris zog sich zusammen, als hätte sie in ein Blitzlicht geblickt. Ihre Pupillen zogen sich ebenfalls zusammen. Sie drehte sich zu mir um. »Ich habe nicht geplant, dass es so endet. Ich wollte mehr als das hier.«
    »Es tut mir leid, Olivia.«
    »Es ist okay.«
    Sie nickte mir zu. Ich beendete die Aufnahme und verabreichte ihr die Spritze. Ihr Körper sank sofort in sich zusammen und schmiegte sich in das zusammengedrückte Unterholz. Ich ging weiter und beendete die Säuberung. Die meisten Opfer waren nicht mehr in der Lage, etwas zu sagen. Als ich fertig war, spürte ich, wie sich die Geister an mich drückten. Ich sah hoch und stellte mir vor, wie ich auf dem weitläufigen Grund des weiten Ozeans stand und weiße Trugbilder dicht gedrängt neben und über mir schwebten wie ein Schwarm riesiger Quallen. Ich stellte mir vor, wie sie sich mit jeder Sekunde vermehrten, eine Armee der Toten, die immer weiter wuchs und sich in der Leere aneinander presste. Wahnsinnig. Schreiend. Sie wanden sich um meinen Körper und erstickten ihn. Sie drangen mit jedem Atemzug in meinen Mund ein. Sie brüllten mich stumm an, als würde ich sie aus einem schallgedämpften Raum heraus beobachten. Sie drängten sich immer näher und näher zusammen. Ich hielt den Atem an. Solara kam auf mich zu und tippte mir auf die Schulter. Ihre roten, regennassen Haare hingen schlaff herunter.
    »Geht es dir gut?«, fragte sie.
    »Mir geht es gut«, sagte ich. »Und dir?«
    »Nicht im Geringsten.«
    »Komm mit. Ich habe Bier auf dem Rücksitz.«
    Ich entleerte einige Säcke voller Ätzkalk auf den Opfern und zeichnete eine rote Linie um sie herum. Dann steckte ich ein Warnschild in die Erde. Das war alles. Ich drängte Solara zurück zu Little Bertha, wie ich meinen eigenen Wagen inzwischen nannte. Sie setzte sich auf den Beifahrersitz, und ich warf den Autoschlüssel auf den Fahrersitz, schloss die Tür und ging um das Auto herum. Als ich meine Tür öffnen wollte, war sie versperrt. Ich warf durch das Fenster einen Blick auf Solara, die eine Hand auf das Schloss und die andere auf den Schlüssel gelegt hatte. Sie sah mich an und suchte auf meinem Gesicht nach Anzeichen von Wut, doch ich war nicht wütend. Wäre ich sie gewesen, hätte ich ebenfalls darüber nachgedacht. Sie gab auf und öffnete die Tür.
    »Es tut mir leid«, sagte sie.
    »Kein Problem. Ich verstehe es.« Ich fühlte mich seltsam wohl in ihrer Gegenwart.
    »Machst du häufig solche Säuberungen?«
    »Nicht mehr so oft wie früher. Die meisten Ausbrüche werden ignoriert, es sei denn, sie kommen in die Nähe von Washington DC. Dann hat es einen Werbewert – es wirkt initiativ, barmherzig oder was auch immer.«
    »Es ist unheimlich, dabei zu sein. Zu sehen, wie es gemacht wird.«
    Ich schnappte mir zwei Bier vom Rücksitz und öffnete sie. Ich bot ihr eines an. Sie lehnte zunächst ab, doch dann dachte sie noch einmal darüber nach und griff nach der Dose.
    »Meine Schwester ist auf diese Art gestorben«, sagte ich. »Sie rief mich mitten in der Nacht an. Ich hatte ein schlechtes Gefühl. Hattest du jemals das Gefühl, dass du einen Anruf besser nicht annehmen solltest, weil du schon im Vorhinein wusstest, dass etwas Schreckliches geschehen war?«
    »Ja, natürlich.«
    »Ich bin einer dieser Menschen, die alle Anrufe annehmen müssen. Ich habe immer wieder versucht, Anrufe zu ignorieren, doch ich bin nie über das dritte Klingeln hinausgekommen.«
    »Dieses Problem habe ich auch.«
    »Also öffnete ich das Display meines WEPS. Ich sah bloß ein Bein von Pollys Couchtisch und das Sofa dahinter. Im Hintergrund hörte ich jemanden schwerfällig atmen, und ich schrie ihren Namen. Doch alles, was ich hörte, war ein undeutliches Flüstern. Dann tauchte eine Hand auf. Dunkelviolette Spinnweben verliefen von den Fingern bis hin zum Handgelenk. Ich kannte diese Hand. Dieses Ding . Es griff nach dem WEPS und richtete es nach oben auf die Couch. Und

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