Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
davon zu einem späteren Zeitpunkt«
Katys Familie bereitet ihr Begräbnis vor. Die organisierte Trauer scheint rasch vonstatten gehen zu müssen, als ob alles schnell vorbei sein muss, bevor man noch merkt, weswegen man trauert. Ich vermisse Katy ganz furchtbar. Alle fünf Minuten explodiert die Bombe in meinem Kopf erneut, und ich bleibe jedes Mal nicht weniger erschüttert zurück. Ich habe fiebrige Tagträume, in denen ich eine blonde Frau sehe, die vor mir davonläuft und ein Telefon hervorzieht, in das sie die Geheimnummer eintippt, die meine beste Freundin töten wird. Ich habe der Polizei von ihr erzählt. Ich habe jedes Detail ihres Gesichts und ihres Körpers wiedergegeben. Ich hätte sie aus Ton formen können. Sie ließen ein Phantombild anfertigen und veröffentlichen. Bis jetzt hat sich niemand gemeldet, und ich bin nicht sehr zuversichtlich.
Ich verbringe die meiste Zeit damit, alles zu lesen, was ich über die Explosionen finden kann. Ich lese dieselben Artikel immer und immer wieder. Ich weiß nicht, warum ich sie immer wieder lese, vielleicht, um mir bewusst zu machen, dass das alles wirklich geschehen ist. Sie haben gerade eine noch unvollständige Liste mit den Namen der Ärzte veröffentlicht, die getötet wurden. Ohne die zufällig anwesenden Opfer wie Katy mitzuzählen, scheinen es neun Personen gewesen zu sein: Charles Bane III, Sofia Gonzales, Gim Lau, Jocelyn McManus, Vishal Mehta, Frederick Polycronis, Ian Rosenhaus, Pameer Sanji und Ameet Thakkar. Ich weiß, dass Dr. X weder eine Frau noch ein Inder oder Asiate war. (Es sei denn, er hätte seine wahre Identität sehr gut verstecken können, doch mittlerweile sieht es nicht mehr danach aus.) Demnach bleiben drei Namen auf der Liste: Bane, Polycronis und Rosenhaus. Vermutlich werden sie bald sein Foto veröffentlichen. Ich weiß nicht, ob ich es ertragen werde herauszufinden, wer er wirklich war. Ich habe ihm siebentausend Mäuse gegeben, damit er meine Jugend für den Rest meines Lebens erhält. Und nun kann er das Geld niemals mehr ausgeben. Die Tatsache, dass er sich selbst deaktiviert hat, lässt mich die Endgültigkeit seines Todes noch schlechter verkraften. Wer zum Teufel weiß schon, wie viele Lebensjahre ihm geraubt worden sind?
Ich hätte wissen müssen, dass so etwas passieren wird. Das, was in Oregon passiert ist, hätte mich darauf vorbereiten sollen. Doch in Wahrheit habe ich den Ereignissen in Oregon nicht sehr viel Beachtung geschenkt. Es ist am anderen Ende des Landes passiert, und es scheint so, als würden uns Menschen von der Ostküste selbst Nachrichten über einen Mord nur dann interessieren, wenn er bei uns verübt wurde. Dazu kommt, dass ich in Manhattan lebe. Wenn man hier lebt, kann man so tun, als würde der Rest der Welt nicht existieren.
Doch das kann ich mittlerweile nicht mehr. Die Dinge, die gestern hier und damals in Oregon geschehen sind, sind nun so stark miteinander verbunden, dass es sich anfühlt, als liege Eugene gleich hinter dem Hudson River. Ein Journalist namens Matt Dermott hat vorige Woche einen großen Artikel über Oregon veröffentlicht. Ich bin zunächst nicht dazu gekommen, ihn zu lesen, doch in den letzten Stunden habe ich ihn ein Dutzend Mal gelesen. Ich kann ihn schon beinahe auswendig. Hier eine Kopie aus dem Online-Magazin Slate :
Der Mann, der den Tod besiegte
Von Mike Dermott
Graham Otto hatte nie vor, den Tod zu besiegen. Er wollte bloß allen Rothaarigen auf dieser Welt helfen.
»Ich habe selbst rote Haare«, vermerkte er in seinen privaten Aufzeichnungen, zu denen mir die Familie Otto exklusiven Zugang gewährte. »Ich habe noch nie einen rothaarigen Mann kennengelernt, dem es gefällt, rote Haare zu haben.« Der Name des Gens ist MCR 1. Es befindet sich im Chromosom 16. Und der sogenannten Landkarte des menschlichen Genoms nach zu urteilen, ist dieses Gen für die rote Haarfarbe verantwortlich (genauso wie für eine äußerst seltene Hornhauterkrankung). Gemeinsam mit einer Gruppe von anderen Genetikern isolierte Otto das Gen in der Hoffnung, die Haarfarbe durch Gentherapie verändern zu können. »Wir handelten dabei nicht gerade aus einem sehr edelmütigen Motiv«, schrieb er. »Es ist die Art von Forschung, die eine wohlhabende Universität wie die Universität von Oregon von Zeit zu Zeit durchführt, wenn ihr einmal nach einer kleinen Spielerei zumute ist.«
»Er war ganz aufgeregt, wenn er an die wirtschaftlichen Möglichkeiten dieser Forschung dachte. Das waren
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