Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
weiß, was auf uns zukommt. Ich weiß, wie ich mich fühlen werde. Es ist beinahe so, als würde ich eine Geburtstagsparty planen. Ich vergesse die emotionalen Hintergründe des Ereignisses und kümmere mich ausschließlich um die organisatorischen Dinge. Das ist die beste Art, mit der Trauer umzugehen, weißt du? Sich in den Vorbereitungen zu verlieren.«
»Hat er dir gesagt, was wir mit seinem Körper machen sollen?«
»Ja. Er möchte dasselbe wie Mum. Wir sollen seinen Körper der Wissenschaft zur Verfügung stellen und die Asche ins Meer streuen, wenn wir sie dann zurückbekommen. Gott sei Dank hat er sich dafür entschieden. Ich habe gehört, dass ein Grab auf einem Friedhof mittlerweile zwanzigtausend Dollar pro Jahr kostet – es ist vollkommen verrückt. Man könnte meinen, sie geben den Leichen Philosophieunterricht.«
»Was immer auch passiert, wir werden es durchstehen. Wenn du irgendetwas brauchst …«
Sie nahm einen Schluck Wein und begann zu weinen.
Ich versuchte, sie zu trösten. »Polly, es wird alles gut werden.«
»Das ist es nicht«, sagte sie. »Es ist Mark. Er will unsere Ehe in eine Lebensabschnittsehe umwandeln lassen. Er will mich in zehn Jahren verlassen.«
»Nein.«
»Es ist furchtbar. Er hat mich nicht betrogen oder so. Er hat mir mit den Kindern geholfen und mich immer unterstützt – mit der Abendschule, mit dem Masterabschluss, mit allem. Er war immer einfach wundervoll. Und jetzt das.«
»Möchtest du es denn auch?«
Sie sah mich an, als wäre ich ein Idiot. »Natürlich nicht. Er ist mein Ehemann, und ich möchte, dass er es bleibt. Deshalb habe ich ihn geheiratet. Es spielt keine Rolle, dass wir uns alle deaktivieren ließen. Das ist mir egal. Ich liebe ihn. Mir gefiel der Gedanke, dass wir die Kinder aufwachsen sehen und dann eine schöne Zeit miteinander verbringen würden. Reisen. Spazierengehen. All die Dinge, die Mum und Dad getan haben. Mir gefiel der Gedanke daran. Wir hätten nach einiger Zeit sogar noch einmal Kinder bekommen können. Ich habe gern darüber nachgedacht. Und jetzt sehe ich nur noch eine tickende Uhr. Es ist, als hätte er mich bereits verlassen. Ich sehe, wie er anderen Frauen auf der Straße nachschaut. Er versucht, es zu verbergen, aber ich merke es trotzdem. Es hat mir bisher noch nie etwas ausgemacht, weil ich wusste, dass er ihnen bloß nachschaut und mehr nicht. Aber jetzt? Jetzt ist es, als würde ich einen Hund in einem Käfig beobachten. Ich weiß, dass er sich auf ein Leben ohne mich freut. Ich bin mir nicht einmal mehr sicher, ob man bei uns überhaupt noch von einer Ehe sprechen kann.«
»Und was sagen die Kinder dazu?«
»Wir haben es ihnen noch nicht gesagt. Und sie würden mir vermutlich nicht mal zuhören. Sie würden einfach weiter auf ihren Computern herumspielen. Habe ich dir schon erzählt, dass sie die Highschool nicht abschließen möchten? Jay ist neulich zu mir gekommen und hat mir erklärt, dass er nächstes Jahr nach Neuseeland gehen möchte. Ich habe ihn gefragt, wie lange er dort bleiben möchte, und er hat gesagt: ‚Oh, vielleicht zehn Jahre oder so.‘ Zehn Jahre! Er spielt einfach so mit dem Gedanken, eine zehnjährige Auszeit zu nehmen. Ich glaube, er weiß nicht einmal, wo Neuseeland ist. Er möchte bloß irgendwo anders hin, wo er zwanzig Stunden am Tag mit seinen Freunden chatten kann. Ich wette, dass er zehn Jahre in diesem Land verbringen könnte, ohne auch nur ein einziges Schaf gesehen zu haben.«
»Ja, das ist jetzt groß in Mode«, sagte ich. »Ich habe gelesen, dass die Universitätsanmeldungen stark zurückgegangen sind und die Kids alles auf später verschieben.«
»Genau. Und wer bezahlt den Preis dafür? Eltern wie ich. Denn nun muss ich mir weitere fünfzig Jahre darüber Gedanken machen, ob meine Kinder auch eine gute Ausbildung bekommen. Ich sage dir eines, John, es ist eine unabwendbare Katastrophe. Und dann kommt auch noch mein Ehemann daher und möchte wieder Single sein. Ich bin nicht bereit dazu. Ich bin nicht bereit, eine ‚post-verheiratete‘ Frau zu sein. Es ist so … so verdammt eigenartig .«
»Dann kämpfe um ihn. Sag ihm, dass er bleiben soll. Wenn du zu mir sagst, dass ich etwas tun soll, dann höre ich auf dich.«
»Das ist nicht so einfach, weil alle Arschlöcher in Marks Firma gerade eine Lebensabschnittsehe verhandeln. Ich gebe dir nicht die Schuld daran, wohlgemerkt. Wenn es deine Firma nicht erfunden hätte, hätte es jemand anderer getan. Diese Typen sind komplett
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