Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Titel: Die Unsterblichen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Drew Magary
Vom Netzwerk:
ich dir helfen? Wie sieht die Behandlung aus?«
    »Es wird keine Behandlung geben.«
    »Keine Chemotherapie? Keine Bestrahlungen? Haben sie dir denn gar nichts vorgeschlagen?«
    »Doch. Sie haben mir eine Chemotherapie vorgeschlagen, aber ich möchte es nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Weil ich es nicht möchte.«
    »Aber du kannst den Krebs besiegen. Zumindest kannst du dir mehr Zeit verschaffen.«
    »Warum sollte ich das wollen? Ich habe gesehen, was deine Mutter durchgemacht hat. Ich mache da nicht mit.« Er nahm meine Hand. »Es ist gut so, John. Es ist gut so. Ich möchte es so. Verdammt, ich habe es sogar geplant. Die letzten drei Monate habe ich jeden Abend eine dicke Scheibe Speck und einen halben Liter Schokoladeneis gegessen. Ich habe sogar versucht, mit dem Rauchen anzufangen. Was nebenbei bemerkt ekelerregend ist. Wusstest du, dass Zigaretten Mandelöl enthalten? Ich finde das irgendwie bizarr. Es ist, als würde man an einer Makrone saugen.«
    »Du willst dich umbringen?«
    »Ich will mich nicht umbringen. Selbstmord ist etwas anderes. Wenn du Selbstmord begehen möchtest, dann hältst du dir eine Pistole an den Schädel. So etwas würde ich nie machen. Aber du musst eine Sache verstehen: Ich habe einen Fehler gemacht, als ich mich deaktivieren ließ. Ich möchte es nicht mehr. Es ist ja nicht so, dass ich unbedingt sterben möchte. Ich habe bloß meinen Frieden mit dem Tod gemacht. Er jagt mir keine Angst ein. Ich hatte ein gutes Leben. Ich habe zugesehen, wie meine Kinder erwachsen wurden. Ich habe zugesehen, wie meine Enkel zur Welt kamen, ich habe deinen Sohn kennengelernt. Das ist alles, wovon ich jemals geträumt habe. Und mehr als das! Verdammt noch mal, sie haben doch tatsächlich ein Heilmittel gegen das Altern gefunden! Ist das nicht phantastisch? Ich kann gar nicht glauben, dass ich das noch miterleben durfte. Weiter kann sich die Welt nicht mehr entwickeln. Das ist das Größte, soweit es mich betrifft. Nein, ich hatte ein gutes Leben, und ich habe mehr als meinen gerechten Anteil abbekommen. Ich bin kein depressiver, alter Mann, der versucht, sich zu erhängen. Ich suche bloß nach einem huldvollen Abgang. Nach einem Weg, deine Mutter wiederzutreffen. Und hier ist er. Ein Tumor. Ein riesiger, fetter, wunderbarer Tumor. Ich könnte das verdammte Ding küssen.«
    Ich saß da und starrte ihn an. Ich wusste nicht, ob ich ihn umarmen, ihm eine verpassen oder einen Toast auf ihn aussprechen sollte. Er sah, wie ratlos ich war.
    »Es tut mir leid«, sagte er. »Ich wollte nicht flapsig erscheinen.«
    »Es ist okay. Ich verstehe, was du meinst.«
    »Das hier ist keine Tragödie, John. Das ist es wirklich nicht. Der Tod sollte keine Tragödie mehr sein. Ich habe lange genug gelebt, und alle anderen können das jetzt ebenfalls. Das Leben ist gut, so wie es jetzt ist.«
    »Wie lange hast du noch?«
    »Ein Jahr. Höchstens. Ich hoffe, dass es nicht so lange dauern wird. Ich werde nach dem Fest die ganze Weihnachtsbeleuchtung entsorgen. Ich möchte niemals wieder Lichter an diesen gottverdammten Baum anbringen müssen.« Er zeigte auf den Baum. »Es gibt ja nur noch diese LED-Lichter. Sie sind fürchterlich. Es sieht so aus, als wäre der Baum von einem Hersteller für Bürobeleuchtungen entworfen worden.«
    »Ja, aber der Baum lebt jetzt ewig.«
    »Wer braucht schon einen Baum, der ewig lebt?«
    »Na ja, er produziert immerhin Sauerstoff.«
    »Dann vererbe ich ihn dir. Du kannst meinen Immergrün haben und all den wertvollen Sauerstoff. Was kümmert es mich noch?«
    Er goss sich einen Drink ein, und wundersamerweise verlief die restliche Unterhaltung an diesem Abend vollkommen normal. Es machte mir Angst, wie schnell ich mich an den Gedanken gewöhnt hatte, dass er bald nicht mehr hier sein würde. Er hatte mich restlos überzeugt, und es war offensichtlich, dass er nicht wollte, dass ich deshalb Trübsal blies. Also spielte ich mit. Ich freundete mich mit dem Gedanken an. Vielleicht war es der einfachste Weg, um meiner eigenen Trauer, die schlussendlich kommen würde, aus dem Weg zu gehen. Wie bei meiner Mutter war ich um eine positive Einstellung bemüht. Der einzige Unterschied war, dass der Ausgang hier erwünscht war. Ich starrte aus dem Wohnzimmerfester. Die Bäume waren im Mondlicht nur als Silhouetten zu erkennen, die Umrisse der Äste schienen eine komplizierte Landkarte zu bilden – eine Landkarte mit Millionen Destinationen, die alle unbeschrieben waren.
    »Macht es dir etwas aus, wenn ich einen

Weitere Kostenlose Bücher