Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
ich das bin, wonach du gesucht hast? Dass du niemanden da draußen mehr lieben kannst als mich?«
»Weil ich es weiß. Da draußen gibt es niemanden außer dir. Ich weiß es einfach.« Ich setzte mich auf. »Ist das eine Art Test?«
»Nein«, sagte sie. »Ich bin einfach bloß neugierig. Du hast Sonia geliebt, aber du hattest Angst, dass du irgendwann aufhören würdest, sie zu lieben. Du wolltest die Möglichkeit haben, jemand Besseren zu finden, vor allem, weil du dabei dein gutes Aussehen und deine Unsterblichkeit im Hinterkopf hattest, nicht wahr?«
»Ich glaube schon. Aber ich denke nicht, dass ich es in meinen Gedanken so ausdrücklich formuliert habe, wie du es gerade getan hast. Ich wollte sie einfach nicht heiraten.«
»Aber warum nicht? Du hast sie doch geliebt.«
»Ich glaube, ich wusste, dass ich sie irgendwann einmal nicht mehr lieben würde.«
»Wie ist es möglich, jemanden zu lieben und gleichzeitig zu wissen, dass diese Liebe ein Ablaufdatum hat?«
»Weil viele Dinge einfach vergehen«, erklärte ich ihr. »Ich bin inzwischen alt genug, um zu wissen, dass ich manchmal vollkommen verrückt nach jemandem oder etwas bin, und dann verfliegt die Euphorie wieder.«
»Das ist es, was mich neugierig macht. Ich frage mich, ob die Euphorie von nun an immer irgendwann nachlassen wird. Ich hatte einmal einen Freund, dessen Eltern sich wirklich geliebt haben. Ich meine, sie waren ganz wild aufeinander. Sogar als sie bereits fünfzig waren, haben sie sich immer noch in der Öffentlichkeit geküsst und gekichert und so. Es war ekelhaft, aber es hat mir Hoffnung gegeben. Ich wusste, dass irgendwo da draußen tatsächlich die große Liebe wartet. Es gibt sie wirklich.«
»Was ist mit ihnen geschehen?«
»Sie haben sich vor einem Jahr scheiden lassen. Es gab keine Anzeichen dafür. Es war bloß vorbei. Einfach so. Es war so unspektakulär. Und ich habe mir gedacht, mein Gott, alle werden sich jetzt irgendwann miteinander langweilen, und alle wissen es. Das ist alles so seltsam. Denn hier sind wir nun. Im Bett. Wir sind glücklich, nicht wahr? Bist du glücklich?«
»Ja, überglücklich.«
»Ich auch. Aber mittlerweile kann ich nicht mehr in diesem Moment verweilen. Es scheint immer diesen einen seltsamen Punkt am Horizont zu geben, an dem alles verblasst. Ich kann ihn nicht ignorieren. Ich kann nicht aufhören, mir darüber Sorgen zu machen, dass … dass die Liebe von nun an nur noch Bockmist ist.«
»Du wirst jetzt aber nicht trübselig, oder?«
»Nein, ich möchte bloß noch an etwas glauben können.«
Sie fuhr mit der Hand über meine Narbe. Der plastische Chirurg hatte mir versichert, dass das eingeritzte Geburtsdatum nach der Behandlung nicht mehr sichtbar sein würde. Doch ich kann es immer noch sehen, auch wenn es in der kleinen Erhöhung kaum noch erkennbar ist. Keinem außer mir selbst wird es jemals auffallen, weshalb es mich nur umso mehr verfolgt. Es ist eine kleine Erhebung im Gewebe, eine Membran, die scheinbar stets Gefahr läuft aufzuplatzen. Der Arzt meinte, dass die leichte Schwellung mit der Zeit zurückgehen würde. Ich wünschte mir beinahe, man würde stattdessen die Schnitzerei der Trolle wieder sehen.
Alison fuhr mit den Fingerspitzen über die Erhöhung. Sie sah zu mir hoch. Ihre Reinheit war eines der Dinge, die sie sich über die Jahre erhalten hatte. Zynismus war ihr immer noch vollkommen fremd. Sie stellte mir diese Frage nicht, weil sie langsam verbittert wurde. Der Grund war, dass sie Angst hatte. Sie wollte an etwas Gutes in der Zukunft glauben.
»Die Liebe ist kein Bockmist«, sagte ich.
»Das kannst du doch nicht wissen. Das kann niemand wissen. Es werden Dinge passieren, die du unmöglich vorhersehen kannst. Vielleicht hatte die Liebe eine Chance, das alles zu überstehen, als das Ende unseres Lebens nur ein paar Jahrzehnte entfernt gewesen ist. Aber jetzt nicht mehr. Nicht jetzt, wo es vielleicht Jahrhunderte entfernt ist. Nicht jetzt, wo alles so beschissen ist.«
»Aber es war doch schon immer alles so beschissen. Seit Anbeginn der Zeit. Darum finden die Menschen zueinander. Um sich Trost zu spenden. Um sich Zuflucht zu gewähren. Sie finden ihren eigenen kleinen Rückzugsort in der Welt, an dem sie vor all dem Schrecken geschützt sind. Das können wir auch, Alison. Als ich mich deaktivieren ließ, hatte ich keine Ahnung, warum ich es überhaupt getan habe. Ich wusste bloß, dass ich es wollte. Aber jetzt weiß ich es. Ich weiß genau, warum ich unsterblich
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