Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
stiegen.
Er redete mit Elisabeth am Telefon. Sie sprach mit ihrer nervenberuhigenden Achtsamkeitsstimme. Er mochte das und sehnte sich nach ihr. Ohne sie wäre die ganze Familie schon auseinandergebrochen. Das war eine schreckliche Vorstellung.
Sie kamen überein, sich im Mother India in der Pilestredet zu treffen, seit vielen Jahren ihr Stammlokal. Er schaute auf die Uhr, und es ließ sich einrichten, daß sie mit der gleichen Straßenbahn hinunter in die Stadt fahren konnten. Ein Schmatz. Sie küßten sich jedesmal am Ende eines Gesprächs durch den Hörer.
Er konnte sich nicht erinnern, jemals mit Elisabeth gestritten zu haben, weder aus beruflichen Gründen noch wegen der Kinder oder der Freizeitgestaltung. Trotzdem hatte es in der Vergangenheit einige unangenehme Gespräche gegeben, und die fanden an den Abenden statt, an denen beide zuviel Rotwein getrunken hatten. Es ging immer um ihre Eltern. Jahrelang hatte er das Gefühl, durch die Hintertür in dieses Dahl-Haus gekommen zu sein. Ein Haus, das er eigentlich nicht mochte, war sein Zuhause geworden. Das Brenner-Haus mochte er ebensowenig. In einem seiner seltenen Anfälle von Trotz hatte er vorgeschlagen, ins Zentrum zu ziehen, eine kleine Wohnung zu nehmen und genügsamer zu leben, verantwortungsbewußter. Sie wurde wütend und faßte es als Angriff auf ihre Eltern auf. Hatten die etwas falsch gemacht? Waren sie nicht großzügig gewesen und hatten ihnen in schweren Zeiten geholfen?
Wenn sie so anfing, war es hoffnungslos, und er zog sich sofort zurück. Die unangenehmen Gespräche waren immer sehr kurz und endeten damit, daß er Rotwein nachschenkte und daß er ihr meistens den ganzen Abend versicherte, wie sehr er seine Schwiegereltern Tulla und Kaare schätzte, ja wie er es genoß, mit ihnen zusammenzusein, im Alltag und an Festtagen, wie klug sie seien und wie nett mit den Kindern. Meistens übertrieb er so, daß sie ihn dämpfte und murmelte, sie verstehe ja, daß es nicht immer einfach sei, mit ihren Eltern zusammenzuleben, aber sie hätten sich dazu entschieden, sie lebten gut im Dagaliveien und das einzig Schwierige sei der Gedanke an das Erbe, denn Elisabeth hatte zwei Geschwister, und was die sich in bezug auf diese Immobilie erwarteten, war äußerst unklar.
Das Haus war in abgeschlossene Wohnungen eingeteilt, und man hatte eine vorläufige Absprache getroffen, aber die Vorstellung, daß sich Janne und Andreas um das obere Stockwerk zankten, war weder für Elisabeth Dahl noch für Thomas Brenner erfreulich. Obwohl die Geschwister sich keinen Deut um ihre alten Eltern gekümmert hatten, rechneten sie selbstverständlich damit, maximal zu erben, und das Maximale würde sein, das Haus zu verkaufen, und das hieße, Elisabeth und Thomas würden ausziehen müssen.
Thomas Brenner weigerte sich, bei diesen Spekulationen mitzumachen, und überließ alles Elisabeth, was sieverstand und sicher freute. Daß er Hunderttausende von Kronen in die Instandhaltung gesteckt hatte, interessierte weder Janne noch Andreas Dahl, und das ärgerte ihn, und noch mehr ärgerte ihn, daß er sich geschworen hatte, sich nie in Erbstreitigkeiten hineinziehen zu lassen, und jetzt saß er mittendrin, denn sowohl das Dahl-Haus wie das Brenner-Haus waren tickende Zeitbomben. Zudem waren beide Anwesen trotz der Instandhaltung ziemlich renovierungsbedürftig. Der finanzielle Erlös, mit dem die Geschwister auf beiden Seiten rechneten und weswegen sie ihre eigenen Häuser bis zum Anschlag mit Hypotheken belastet hatten, war vermutlich nicht zu erwarten. Das würde eine Überraschung geben, dachte er, eine sehr unangenehme Überraschung.
Und vielleicht würde es ihnen recht geschehen, denn sie hatten ihren Eltern nie die nötige Achtsamkeit gezeigt. Sie hatten sogar ganz offen zugegeben, daß sie hofften, daß die Eltern bald sterben würden. Am liebsten so bald wie möglich. Sie sollten jetzt abtreten, wie es sein Bruder Johan, der Ingenieur, einmal ausgedrückt hatte, vielleicht mit dem Gedanken daran, daß beide Eltern schon ein Alter von neunzig Jahren erreicht hatten.
Es deutete allerdings einiges darauf hin, daß sie noch hundert werden würden. Weder Bergljot noch Gordon Brenner waren gefährdet, so fleißig wie sie all die Jahre den Arzt aufgesucht hatten. Lange hatte sich Thomas geweigert, ihnen Rezepte für Arzneien auszustellen, und darauf bestanden, daß sie, jedenfalls um den Schein zu wahren, noch einen anderen Hausarzt konsultierten. Später war es dann doch
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