Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
alles, was nötig war, um eine erfolgreiche Autorin zu werden. Witz, Intelligenz und eine etwas distanzierte Kälte, vielleicht der größte Vorteil der besseren Kreise am Holmenkollhügel. Die Familien, die dort oben wohnten, wo die dichtbewaldete Nordmarka anfing, produzierten in der Regel Mädchen, die gutaussehend, höflich, zielbewußt und etwas distanziert waren.
Die Jungen verfügten nicht über denselben Charme. Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es vielleicht einige Exemplare mit Charakter, Witz und Ausdauer, die dazu geeignet waren, in den neuen Kriegsfilmen eine Heldenrolle zu spielen, aber diese Anlage hielt nicht lange. Mit zunehmendem Wohlstand und der Ohnmacht der Sozialdemokratie reichen Familien gegenüber wurden die Jungen am Holmenkollhügel etwas schwerfällig. Sie erhielten eine invieler Hinsicht harte und gefühllose Erziehung, wurden aber gleichzeitig verwöhnt. Es gelang ihnen nicht, das Familienvermögen auf adäquate Weise zu vermehren. Der Umgang mit Geld wurde planlos, sie legten sich diesen quengeligen Dialekt zu, der sich so leicht parodieren ließ, verloren völlig die deutliche, etwas kantige Sprache, die die Kriegshelden gekennzeichnet hatte.
Es wäre so leicht, den Müttern die Schuld zuzuschieben, dachte Thomas Brenner. Sie bemühten sich, so gut sie konnten, machten Saft und weckten ein und schickten ihre Kinder im Winter auf die Rodelbahn. Aber der Reichtum war so groß, daß die Kinder die Motivation verloren. Sie wußten ja, daß das Geld da war! Geld, das früher geheimgehalten worden war, manifestierte sich nun in Ferienwohnungen an neuen Orten in Spanien oder Südfrankreich. Swimmingpools wurden in die Gärten gequetscht, kolossale Sommerhütten entstanden im Gebirge, elegante Yachten lagen im Frognerkilen und wurden nie benutzt, denn auch die Väter dieser jungen Männer hatten nicht die Autorität ihrer Großeltern. Sie waren gerade einige Monate zu spät geboren, um eingezogen zu werden, als der Zweite Weltkrieg begann. Einige von ihnen prahlten zwar mit unbedeutenden Sabotageakten, aber die meisten von ihnen gehörten nicht zu einer Generation, die beanspruchen konnte, irgend etwas Großes geleistet zu haben. Sie waren nur reich geboren und sonst nichts.
Wie auch immer, dachte Thomas Brenner, mit den Töchtern war das anders. Er hatte einige Freunde aus der unteren Mittelschicht und wußte, wie begehrenswert die Holmenkoll-Mädchen für die Jungen seines Alters gewesen waren. Sie waren eigentlich nicht für andere da. Seine Schwester Vigdis gehörte dazu. Sie strahlten das Gegenteil von Achtsamkeit aus, was vielleicht eine Erklärung fürElisabeths spätere Versenkung in den Buddhismus war. Thomas Brenner dachte, daß sie ihr Leben als etwas ganz anderes begonnen hatte, als Luxusgegenstand mit der Gewißheit, eines Tages erworben zu werden, und das wahrscheinlich von einem dieser schwammigen Knaben, die ihr nicht mehr als einen vorzeitigen Samenerguß bieten konnten.
Diese Mädchen waren unerbittlich. Noch bevor sie anfingen, Davy-Crokett-Mützen zu tragen, gehörten sie zum Elitärsten, was die westliche Zivilisation hervorgebracht hatte. Es gab sie überall dort, wo Reichtum war, und in Norwegen war das der Holmenkollhügel. Schon auf dem Gymnasium wollte Elisabeth Dahl weg von dieser distanzierten, etwas somnambulen Attitüde, die am Anfang ihrer Teenagerzeit für sie prägend gewesen war. Sie gehörte zu denen, die intellektuelle Bücher lasen wie Saul Bellows Herzog und natürlich im Original. Denn obwohl Carl Hambro ein vorzüglicher Übersetzer sei, wie sie, gerade mal 17 Jahre alt, sagte, ließen sich Saul Bellows meisterhafte Sätze einfach nicht in einer anderen Sprache wiedergeben. Also konnte sie Englisch, hatte Thomas Brenner gedacht und sie hatte Ahnung von Literatur. Sie hatte sich einen typischen Männer-Autor herausgesucht, mit dem die wenigsten Frauen zu ihrer Zeit etwas anfangen konnten. Ein Jude aus Chicago, bei dessen Lektüre man sich die Seele wund rieb, wie Johan Borgen es ausgedrückt hatte.
Thomas geriet in Elisabeths Magnetfeld, weil er gut aussah und wenig sagte. Das jedenfalls hatte er viel später gedacht, als er sich erstmals die Frage stellte, warum sie sich seinerzeit ihn ausgesucht hatte. Elisabeth war damals eine junge Frau gewesen, die sich am liebsten in maskulinen Milieus aufhielt, mit den Jungen Zigaretten rauchte und über Bellow diskutierte, einen Schriftsteller, den diesejungen Männer kaum kannten. Sie interessierten sich eher
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