Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Titel: Die Unsterblichen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
Vom Netzwerk:
Sie müßte in jedem Fall untersucht werden, müßte einen Psychiater konsultieren. Er erinnerte sich an ihre Augen, als er das gesagt hatte, obwohl er es eher gemurmelt und dabei in seiner Hosentasche gekramt hatte,um soviel wie möglich auf verbale Autorität zu verzichten. Seinen Angehörigen gegenüber war er hilflos. Line sah ihn erschrocken an, und er begriff, daß es zwecklos war und daß er sie überdies gekränkt hatte. »Du glaubst wohl, ich bin manisch-depressiv?« sagte sie. Er hätte genauso sagen können, daß sie Kinderlähmung hat. »Ich möchte nur, daß du dein Leben mit etwas mehr Ruhe angehst«, hatte er gemurmelt und sich dann entschuldigt. »Väter, du weißt ja«, hatte er gesagt. Es wurde nicht mehr darüber geredet, aber es blieb eine untergründige Spannung zwischen ihnen. »Warum schaust du mich so an, Papa?« sagte sie beispielsweise. »Schaust du mich mit deinen bipolaren Linsen an?« »Ich schaue dich nicht an. Ich freue mich über dich«, antwortete er dann und versuchte, lachend darüber hinwegzugehen.
    Jetzt stand sie mit einigen ihrer Kollegen in der Runde. Die Leute von Karpe Diem waren bereits gegangen. »Bei mir zu Hause findet eine kleine Feier statt, in meiner Wohnung«, sagte sie. »Ich hoffe, ihr könnt auch kurz dabeisein?«
    »Natürlich«, sagte Elisabeth und drückte ihre Tochter an sich. Thomas Brenner verspürte ein Gefühl von Traurigkeit. Herrgott, wer wollte seine Familie auf der Feier einer erfolgreichen Rap-Aufführung im Tanzinstitut dabeihaben? Annika konnte ja vielleicht mitkommen, aber er und Elisabeth?
    Gleichzeitig schämte er sich seiner Gedanken. Als sei es ein Problem, wenn die Kinder ihre Eltern liebten. Thomas wußte, daß die Tochter das nicht aus Pflichtgefühl machte. Sie wollte ganz ehrlich, daß die Eltern dabei waren.
     
    Sie begrüßten Lines sogenannte Freunde. Thomas war nicht davon überzeugt, daß diese Freunde, mit denen Lineankam, wirklich ihre Freunde waren. Vielleicht waren es Annikas Kontaktschwierigkeiten, die ihn in seiner Sicht auf Line beeinflußten. Keiner dieser sogenannten Freunde sah so aus, als sei er wirklich ihr Freund. Sie wirkten fremd und verkommen, und es mußte ihnen total unverständlich sein, daß zum Absacker, zu dem sie eingeladen wurden, auch die Eltern kamen.
    Hätte er Lust, sich jemandem anzuschließen, der so unförmig war wie Annika? Und er selber und Elisabeth? Ein gewöhnliches, aber sicher todlangweiliges Ehepaar vom Holmenkollhügel, das zu allem, was man sagte, nur nickte und lächelte, hoffnungslos begeistert von Dingen, mit denen es nicht das Geringste verband, das aussah wie ein Fragezeichen, auch wenn es nickte. In kürzester Zeit waren Elisabeth und Thomas Brenner zu Oldtimern geworden. Sie paßten besser in den Jazz-Klub an der Smested-Kreuzung, als mit der Jugend bei einem lauwarmen Glas Cava über »unsere Sta-hadt« zu reden und die Aufführung des Abends. Und zu seinem Entsetzen merkte Thomas, daß er recht hatte. Die sogenannten Freundinnen zogen sich zurück, eine nach der anderen. Die eine hatte Kopfschmerzen, die andere mußte heim und schlafen. Er haßte sie, könnte sie vor Wut und Kränkung prügeln. Plötzlich war von der schnatternden Schar keine mehr da. Dafür tauchte plötzlich Marit Salvesen neben Line auf, besprüht mit dem widerlichsten Parfüm, das Thomas jemals gerochen hatte, nicht einmal Annika hätte ein schlimmeres finden können. Die Leiterin des Tanztheaters in voller Größe.
    »Ich möchte gerne mitkommen zu einem Absacker!« sagte sie und umarmte Line auf mütterliche und gewaltsame Weise, überzeugt davon, daß Line sie dabeihaben wollte. Aber Thomas sah, daß die Augen seiner Tochterflackerten. Das war nicht gerade, was sie sich vorgestellt hatte.
     
    Es blieb dabei. Kurz darauf schlenderten sie zusammen hinüber zum Parkveien, die Brennerfamilie in kompletter Ausführung und Marit Salvesen als Anhang.
    »War Line nicht entzückend?« sagte Marit Salvesen enthusiastisch. Der Wind blies durch die Straße, und so ein Westwind klärt die Gedanken, dachte Thomas Brenner.
    »Ja, das war fantastisch«, sagte Elisabeth aufrichtig. Er bewunderte sie, wenn sie so freundlich und großzügig war, obwohl er sie auch bewunderte, wenn sie arrogant war. Aber es bestand ja kein Grund, unfreundlich zu sein zu dieser Tanzschulleiterin, die zufrieden und stolz auf ihre Schule und die Schüler war. Sie schien glücklich darüber, zum Absacker eingeladen worden zu sein. Line schloß die

Weitere Kostenlose Bücher