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Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Titel: Die Unsterblichen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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Brenner. »Sie können sich hier am Bildschirm selbst davon überzeugen.«
    »Gibt es nicht eine Schweigepflicht?« sagte sie eiskalt und bewegte sich nicht.
    »Nicht innerhalb der Familie. Und besonders nicht, wenn die Krankheit ansteckend ist. Und das sind Chlamydien. Ich hätte Sie längst herbestellen sollen.«
    »Das ist eine Unverschämtheit«, rief sie, rot im Gesicht, und sprang auf. »Und dafür werden Sie in die Schlagzeilen kommen! Sie verstehen gar nichts! Sie werden von uns hören!«
    »Gehen Sie besser heim zu Ihrem Kind. Sollte es verschwunden oder an der Überdosis gestorben sein, werden eher Sie Thema des Leitartikels.«
    Wie böse sie miteinander umgingen, dachte er schockiert. Ganz plötzlich hatte ein Krieg angefangen. Es war das erste Mal in seinem Berufsleben, daß er sich mit einem Patienten angelegt hatte. Es überraschte ihn, daß das ohne Vorwarnung geschah. Er konnte es darauf schieben, daß es ein ungewöhnlicher Tag für ihn war, aber das brauchte er gar nicht. Er wußte, daß er fachlich auf der sicheren Seite war. Falsch verhalten hatte sich eindeutig sie. Unerhört! Unerhört! schrie es in ihm. In diesem Moment öffnete die junge Mutter die Tür und rief, daß es das ganze Wartezimmer und alle Arzthelferinnen hören sollten:
    »Verdammter Scheißarzt!«
    Und nach einer Kunstpause: »Arschloch!«
     
    Sie knallte die Tür hinter sich zu. Er saß wie gelähmt hinter seinem Schreibtisch. Rasch rekapitulierte er, was gesagt worden war, wie sich das Gespräch Wort für Wort entwickelt hatte. Er fand keinen Bruch in seiner Logik. Er bereute es nicht einmal, die Geschlechtskrankheit erwähnt zu haben. Auch die äußere Tür hörte er sie noch zuknallen. Er wartete fünfzehn Sekunden, dann erhob er sich und ging ins Wartezimmer, blickte kurz die dort sitzenden Patienten an und ging hinüber zu den Arzthelferinnen, die ihn erschrocken anschauten.
    »Was war denn mit der los?« fragte eine von ihnen leise und verdrehte solidarisch die Augen gen Himmel.
    »Sie hat ihren Säugling allein daheimgelassen«, antwortete er so laut, daß es alle hören konnten. »Am Tag eingeschläfert mit unseren Schlaftabletten.«
    Er sprach bewußt von »unsere«. Damit waren sie eingeschlossen. Sie schätzten es, wenn er in der Wir-Form sprach. Der unverkennbare Hinweis auf Autorität.
    »Von ihr werden wir wohl noch hören. Oder von ihrem Mann.«
    Janken Vigernes kam aus seinem Sprechzimmer. »Was geht denn hier vor?«
    »Krach mit einer Patientin«, sagte Thomas Brenner.
    »Das war höchste Zeit«, grinste Janken Vigernes und winkte einen Mann herein, der schon lange gewartet hatte. Und das mußte er nun auch tun. Er hatte noch drei zu behandeln. Wie er den Kollegen um seine psychische Robustheit beneidete. Jetzt spürte er, daß er zitterte. Wenn sie nun tatsächlich die Presse einschaltete? Oder die Ärztevereinigung? Er befand sich zwar in einem Berufszweig, in dem man sich in hohem Maße gegenseitig schützte, aber es könnte Unannehmlichkeiten mit sich bringen. Und das wäre unangenehm für Elisabeth, Annika und Line. Wenn er gekonnt hätte, wäre er ihr gefolgt. Hätte es genauso gemacht wie sein Vater. Hätte ihr seine Wut nachgerufen. Hätte gerufen, um gehört zu werden, um ernst genommen zu werden. Um eine Sündenvergebung zu bekommen.
    Er besann sich und rief den nächsten Patienten auf. Zum Glück eine einfache Sache. Eine Dame, die nur ein neues Rezept für ihr Kreislaufmittel brauchte.
     
    An den Rest des Nachmittags erinnerte er sich wie im Nebel. Er bekam keinen neuen Anfall. Das Herz verhielt sich sozusagen nicht rational. Andererseits gab es nach dem Ende eines Anfalls immer zeitlich einen Freiraum. Als ertrage die linke Vorkammer kein weiteres Kicken und müsse verschnaufen. Der letzte Patient war längst gegangen, und er wollte entmutigt und voller banger Ahnungen gerade den Mantel anziehen, um zu gehen, da läutete das Telefon.
    Es war Mildred Låtefoss.
    Er stöhnte innerlich. Es gab nichts Anstrengenderes als Menschen, die ein Interesse an einem bekundeten, dasman nicht erwiderte. Je besser es gemeint war, desto gefangener fühlte sich Thomas Brenner. Er war schließlich zur Höflichkeit erzogen worden. Es paßte ihm wirklich überhaupt nicht, daß Mildred Låtefoss nach so vielen Jahren den Blick wieder auf ihn geworfen hatte. Natürlich war da einmal etwas gewesen, ein süßes Prickeln, unbeholfene, fast zärtliche Episoden. Aber das war fast ein halbes Jahrhundert her! Sie konnte nicht

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