Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
hatte es geschafft, auch während ihrer Zeit bei Telenor, sich zwischendurch mit ihren Freundinnen in einem dieser neuen Cafés zu treffen, die in den achtziger Jahren wie Pilze aus dem Boden schossen. Sie mied niemanden. Sie hatte ein deutliches Bedürfnis nach einem Leben außerhalb des Dahl-Hauses. Und seltsamerweise hatte man das nicht weiter gemerkt. Diese zwanglosen Treffen verabredete sie, ohne daß die Familie jemals darunter litt. Thomas Brenner hatte umgekehrt sogar das Gefühl, daß Elisabeth mehr zu Hause war bei den Töchtern und seinen Eltern als er selbst, obwohl sie nie aufgehört hatte, ihren Alltag mit solchen Freundinnen-Lunchs, Tee-Kränzchen oder Pasta-Essen zu würzen. Sogar wenn sie nachweislich abwesend war, schien es, als würde sie mit ihrer Achtsamkeit auf alle wirken. Und die Reisen nach Rußland fanden nicht so häufig statt. Ab und zu war es ihr sogar gelungen, die ganze Familie mitzunehmen. Ausflüge, bei denen Annika und Line vor Angst fast gestorben wären, auchwenn sie dabei eine Menge gelernt hatten, davon war er überzeugt. Und eigentlich war es unverständlich, daß eine derart souveräne und selbständige Frau so unselbständige Töchter hatte.
Aber diesen Gedanken wollte er nicht weiterverfolgen. Das einzige, was er jetzt im Kopf hatte, war, das Gespräch mit Mildred Låtefoss rasch zu beenden und diese vermaledeite Ordensverleihung vorerst auf Eis zu legen.
»Egal was du sagst oder denkst, Mildred, ich bedanke mich sehr für deinen Einsatz, aber zu dieser Veranstaltung komme ich nicht. Du kannst es ebensogut gleich aufgeben.«
»Das sagt einiges darüber, wohin es führt, wenn man sein Leben ganz der Familie widmet«, sagte Mildred Låtefoss immer noch freundlich. »Ich bin froh, rechtzeitig den Absprung geschafft zu haben.«
»Vergleich das jetzt bloß nicht mit deiner Scheidung«, sagte Thomas Brenner in schärferem Ton.
»Dann sollen wir also im Schloß sagen, daß es leider nicht paßt, weil du dich nach einem sechzigsten Geburtstag ausruhen mußt.«
»Sag, was du willst. Ich habe nicht darum gebeten.«
Sie besann sich. »Ich mache mir Sorgen um dich«, sagte sie nach einer etwas zu langen Pause. »Du bist nicht glücklich mit dir, Thomas. Mir ist das schon gestern in deinem Sprechzimmer aufgefallen.«
»Was ist dir aufgefallen?«
»So einiges. Zum Beispiel, daß du geschwitzt hast. Hat es dich zum Schwitzen gebracht, nur weil du mich sahst? Ich kann mir nicht denken, daß es amouröse Gefühle waren.«
Er erschrak, weil sie diese Angelegenheit thematisierte. Es war nun ausgeschlossen, daß er Mildred Låtefoss vonseinem Herzflimmern erzählte, gerade weil sie Kardiologin war. Sie würde die totale Herrschaft über ihn bekommen, ihn mit Medikamenten vollstopfen oder ihn direkt zur Ablation schicken. Und in dem Moment dachte er plötzlich an Elisabeth. Negierte sie aus ebendiesen Gründen den Knoten in ihrer Brust? Aus der Abneigung, jemand könnte über sie bestimmen? Wäre es in seinem Fall nicht das nächstliegende, einer befreundeten Ärztin, überdies Kardiologin, zu erzählen, daß er mit Herzflimmern zu tun hatte? Und weil die Antwort nein lauten mußte, würde diese Art von psychologischer Reaktion nicht eine verstärkende Wirkung haben, je ernster die Diagnose war? Mein Gott, seine geliebte Elisabeth, litt sie vielleicht unter Todesangst? Diesen Gedanken hatte er noch nie gedacht. Er traf ihn mit voller Wucht. Es gab niemanden, mit dem er darüber reden konnte. Nicht Line, nicht Annika und am wenigsten Elisabeth selbst. Aber mit Mildred Låtefoss hätte er darüber reden können, wenn er in den vergangenen Jahren ihr gegenüber offener gewesen wäre, auf ihre Kontaktversuche mit einem Minimum an Höflichkeit reagiert hätte. Sogar jetzt war er der Meinung, genug ist genug, und er wollte dieses Gespräch so rasch wie möglich beenden und nach Hause fahren, damit er später am Abend noch seine Mutter besuchen konnte. Er versuchte es auf die spaßhafte Tour.
»Das ist die Midlife-crisis, Mildred. Sie befällt auch Männer, wie du weißt.«
»Du bist wirklich ein totaler Dummkopf, Thomas. Ich fange an mich zu wundern, wie ich auf den Gedanken kommen konnte, du müßtest einen Verdienstorden erhalten. Es ist mir ein Rätsel.«
Sein Inneres zog sich zusammen, er hörte aber zu seiner Erleichterung, daß ihre Stimme noch freundlich war.
»Vergebt die Auszeichnung an jemanden, der sie wirklich verdient. Wie steht es mit den norwegischen Hamas-Ärzten im
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