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Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Titel: Die Unsterblichen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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Gaza-Streifen?«
    »Du meine Güte«, lachte sie. »Eine solche kollegiale Sympathie hätte ich von einem Holmenkoll-Arzt am wenigsten erwartet.«
    »Laß uns das Gespräch beenden«, sagte Thomas Brenner mit einem Stöhnen. Das Herz schoß willkürlich einige Doppelschläge.
    »Gut. Ich verstehe, daß ich so nicht weiterkomme. Aber du entwischst mir nicht. Verstehst du? Ich gebe nicht auf, ehe du stolz und krebsrot im Gesicht auf der Bühne stehst und den tollen Verdienstorden am Revers trägst. Auszeichnungen kleiden Männer. Denk nur an die vielen Generäle.«
    »Du wirst immer schlimmer, Mildred! Kannst du mich jetzt entschuldigen?«
    »Klar. Heim mit dir zu deiner Familie. Du bist lange genug von ihnen getrennt gewesen. Und was gibt es heute zu essen? Bouletten mit Kartoffelbrei?«
    Mit einem gemurmelten Adieu legte er auf. Es war besorgniserregend, daß er die unkontrollierten Herzschläge so kurz nach einem längeren Anfall spürte. Das bewies, daß er in der akzelerierenden Phase war, in der die Anfälle häufiger kamen und immer länger wurden, um dann in die chronische, hoffnungslose Phase überzugehen, wenn er nichts unternahm. Gut, dachte er. Er mußte nach Hause zum Abendessen.
    Zu Hause war nur Annika. Sie rief aus ihrem Zimmer. Es roch nach erhitztem Metall. Also arbeitete sie an etwas. Er ging hinein zu ihr. Sie mochte den Ansporn, den er ihr jedesmal gab: daß das, woran sie gerade saß, wirklich hübsch aussah, vielversprechend, daß er überzeugt war, daß sichfür diesen Schmuck gewiß ein Käufer finden würde. Jedesmal lächelte sie zufrieden und gab ihm einen Kuß. Er merkte, daß sie unter den Armen schwitzte und aus dem Mund roch. Sie auf diese unangenehmen Ausdünstungen hinzuweisen, hatte er nie über sich gebracht. Auch Elisabeth, die es immer verstand, Dinge und Probleme beim Namen zu nennen, hatte der Tochter nie gesagt, daß sie schlecht roch. Statt dessen hatten Elisabeth und er, ohne sich abzusprechen, Deodorants und Toilettenartikel für sie besorgt. Und er hatte an einen strategisch günstigen Ort im Bad eine Packung Tabletten gegen Mundgeruch gelegt, ohne daß sie bisher etwas begriffen oder eine genommen hätte. Die Mischung aus Zigaretten, Kaffee und fehlendem Frühstück war die Ursache. Denn sie kam äußerst selten herunter zum Frühstück, und der übrige Tag verging mit Zigaretten und Kaffee, bis sie spät am Nachmittag die erste Mahlzeit zu sich nahm. Die fiel häufig mit dem Abendessen zusammen.
    »Wo ist Mama?« fragte er.
    »Oben bei den Alten«, antwortete sie geistesabwesend, schon wieder in ihre Arbeit versunken. Er hörte jetzt Schritte von oben. Sie half ihnen sicher bei der Zubereitung des Essens. Sie machte Licht für die beiden, stellte Kartoffeln auf, briet die Koteletts, erledigte das Wichtigste. Um den Rest kümmerte sich Tulla und merkte oft gar nicht, daß man ihr geholfen hatte. Denn sie hob immer wieder ausdrücklich hervor, daß sie trotz ihres hohen Alters noch in der Lage sei, für sich und Kaare zu kochen.
    Im unteren Stockwerk lagen abgesehen von Annikas Zimmer alle Räume im Dämmerlicht. Die Sonne war untergegangen, und heute hatte der Westhimmel nicht dieselbe intensive Färbung wie am Vortag. Noch ein schlechtes Vorzeichen, dachte Thomas Brenner. Er ging in dieKüche, um die Abendmahlzeit vorzubereiten. Annika hatte noch nichts im Magen, und Elisabeth würde herunterkommen, sobald sie die Alten versorgt hatte. Er holte Spaghetti aus dem Schrank und griff zum üblichen Topf, als ihm plötzlich Line einfiel. Er hatte den ganzen Tag vergessen, sie anzurufen.
    Mit einem Stich schlechtem Gewissen wählte er ihre Nummer. Sie antwortete sofort, klang etwas matt. Er fragte, wo sie gerade sei. Sie antwortete, sie sei in ihrer Wohnung. Dort mußte es noch trister sein als im Dahl-Haus, dachte er.
    Er fragte nach der Wunde. Alles unter Kontrolle, antwortete sie, keine neue Blutung. Dann fragte er, was sie für den Abend vorhabe. Er hoffte natürlich, daß sie ins Tanzinstitut wolle. Aber das verneinte sie.
    Der Gedanke, daß sie allein in der unfreundlichen Wohnung saß, war fast unerträglich für ihn. Aber er konnte sie auch nicht einladen, ins Dahl-Haus zu kommen. Da würde sie annehmen, er sei nicht ganz richtg im Kopf. Sie fragte, wie es mit Bergljot gelaufen sei. Er erzählte, was sich ereignet hatte, und sie hörte aufmerksam zu.
    »Das war sicher nicht einfach für dich, Papa.« Er antwortete ihr mit heiserer Stimme, schockiert über die Emotionen,

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