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Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Titel: Die Unsterblichen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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die plötzlich in ihm aufwallten, als er das Mitgefühl der Tochter hörte. Ihm fiel ein, daß Annika nicht nach der Großmutter gefragt hatte, obwohl sie am Abend vorher so besorgt gewesen war. Er machte ihr keinen Vorwurf, stellte nur für sich fest, wie sehr sie immer noch ein Kind war, das ganz in seiner eigenen Welt lebte.
    Er beendete das Gespräch mit Line, sagte, daß die Spaghetti fertig waren, daß er mit Annika essen werde. Sie schickte ihm einen Schmatz durchs Telefon und legte auf. Gleichzeitig kam Annika aus ihrem Zimmer. Jetzt fiel ihrplötzlich die Großmutter ein. »War es schlimm, Papa?« Ihre Stimme klang hektisch, sie schämte sich vermutlich, weil sie zu fragen vergessen hatte. Die Mädchen waren ja noch so jung. Es ging ihnen sicher manchmal auf die Nerven, daß sich ständig alles um die Großeltern drehte. Nie davon frei sein, nie verreisen können, ohne daß ihre Eltern darauf achteten, das Handy in Reichweite zu haben. Schließlich konnte jederzeit eine der vier Personen sterben. Es war ein Wunder, daß sie nicht schon gestorben waren. Sie legten längst nicht mehr ihre eigene Patience, sondern die der Eltern.
    Kurz bevor sie aufgehört hatte bei Telenor, hatte Elisabeth vorgehabt, ein halbes Jahr am Schwarzen Meer zu arbeiten. Thomas hatte sie bei ihrem Vorhaben natürlich unterstützt, und sogar Annika war widerwillig bereit gewesen, die Mutter reisen zu lassen. Aber Tulla hatte nein gesagt. Sie hatte Angst gehabt, mit Kaare allein zu bleiben. Elisabeth war seit langem zur Voraussetzung dafür geworden, daß dort oben in der zweiten Etage das Zusammenleben mit dem Ehemann funktionierte. Und Elisabeth hatte sofort gehorcht und die Bewerbung zurückgezogen. Was die Mutter sagte, war Gesetz. Sie könne ihre Mama nicht im Stich lassen, wie sie sagte.
    Schon damals ereigneten sich in beiden Haushalten kleine Unfälle, die zur Folge hatten, daß bei Elisabeth und Thomas das Telefon klingelte. Kochendes Wasser, das zu Brandwunden geführt hatte, Stuhlgang, der in die Hose gegangen war, das Kabelfernsehen, das auf einmal nicht mehr wollte, ein Schuhlöffel, der verschwunden war. Eine Unzahl an kleinen Kalamitäten und Frustrationen, die Elisabeth und Thomas immer enger an die Eltern fesselten. Gleichzeitig kühlten die Gefühle für sie ab oder ertranken im Wasserloch der Trivialitäten. Das war inzwischenziemlich groß geworden. Bei diesem Prozeß merkte Thomas zu seiner Verzweiflung, daß sein Verhältnis zu ihnen indifferenter wurde, daß sich eine Mauer der Gefühllosigkeit aufbaute, vielleicht, weil diese Fürsorge anders war als die Fürsorge für Kinder, bei der das Ziel darin bestand, zu bestärken, aufzuklären, das Kind auf dem Weg in die Selbständigkeit zu begleiten. Die Fürsorge für die Alten hatte nur lindernde Wirkung. Es gab kein Ziel. Für die Zukunft wurde nichts anderes erwartet als der Tod. Und der Tod war nicht akzeptabel, auch wenn man auf die Neunzig zuging.
    Beim geringsten Aufflackern von Furcht oder starker Besorgnis zeigten sie Todesangst. Auch in seiner Arztpraxis traf er nur selten alte Menschen, die den Tod als etwas Natürliches ansahen, ein Endpunkt, mit dem sie sich versöhnt hatten. Im Gegenteil, je älter sie wurden, um so mehr waren sie damit beschäftigt, sich gegen den Tod abzusichern, häufige Blutproben machen zu lassen, neue Medikamente auszuprobieren, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um zu leben.
    Aber dieser Kampf war nun mal vergeblich. Und Thomas fand es sehr deprimierend, wenn er bei einem Neunzigjährigen umfassende Untersuchungen vornehmen mußte, die oft komplizierte Operationen, großes Leiden und nicht zuletzt einen gewaltigen Einsatz von Ressourcen zur Folge hatten. Er schüttelte sich. Seine Gedanken erschreckten ihn.
    Annika wartete darauf, daß er von Großmutter erzählte, wie der Umzug ins Pflegeheim gelaufen war. Während er die Details schilderte und erneut merkte, wie er sich seiner Gefühle nicht erwehren konnte, saß die Tochter da und hörte aufmerksam zu, zeigte ein Mitgefühl, das sie seiner Auffassung nach für die Alten gar nicht mehr hatte.
    Nach dem Essen ging Annika wieder in ihr Zimmer. Er blieb in der Küche, um aufzuräumen. Annika war im Haushalt eine schlechte Hilfe. Sie drückte sich wie eine Zwölfjährige. Elisabeth versuchte ab und zu, mit ihr zu reden, aber es war zwecklos. In ihrem Zimmer lagen ständig überall verstreut Strümpfe und Unterwäsche, und sie dachte nicht daran, ihre Sachen selbst zu

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