Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
erinnerte sie ihn an seinen Kollegen Janken. Er hatte eine eigene Art, die Patienten von sich abhängig zu machen, indem er hervorhob, wieviel er für sie tat, wie dankbar sie sein sollten für den Kontakt zu dem Spezialisten, den er ihnen besorgt hatte. Er versuchte, zurückhaltend zu erscheinen, zuhörend und dienend, um dann auf schlaue Weise den Schwerpunkt zu verschieben. Er brauchte und erwartete jede Art von Dank, die Weinflaschen zu Weihnachten, die Postkarten von überglücklichen Patienten. Er brauchte einen Hofstaat von dankbaren Bewunderern um sich. The need to be needed . So wardas auch mit Tulla. Sie hatte immer ihre Show gehabt, egal ob in der Luft oder im Brenner-Haus. Und wenn ihr einfiel, beim großen Fest der Tochter ihre Show abzuziehen, konnte alles mögliche passieren.
Bergljot und Gordon dagegen mußten wegbleiben. Das hatten sie selbst eingesehen, resigniert und etwas traurig. Man kam nicht mit Windeln zu Elisabeths sechzigstem Geburtstag.
Nach einigen verzweifelten Tagen hatten sich beide mit der Trennung abgefunden. Mit der Verlegung von Bergljot ins Pflegeheim war für beide etwas zerbrochen. Sie lebten seitdem jeder in seinem Alleinsein und fanden sich mit allem ab, nahmen die Pflegekräfte hin, von denen sie mehr oder weniger einfühlsam versorgt wurden.
Wenn Thomas Brenner die Mutter im Pflegeheim besuchte, saß sie meistens im Sessel und schlief. Dasselbe Bild bot sich ihm beim Vater, der an seinem Erkerfenster im Holmenkollveien saß. Die Zeitung aufgeschlagen, aber kaum gelesen. Ein halb ausgetrunkenes Glas Wasser. Ein benutztes Papiertaschentuch auf der Decke. Das Radio summend im Hintergrund. Ein Jugendsender, er hörte den Unterschied nicht mehr. Seine Frau hatte er in dieser Zeit nur einmal besucht. Es kostete ihn große Anstrengung, sich zu bewegen. Thomas war gemeinsam mit einem Pfleger gekommen. Man mußte zu zweit sein, um ihn zu halten, damit er nicht fiel. Im Auto nach Majorstua hatte er gejammert über seine Situation, wie schwer es war, das Haus instand zu halten, wie teuer alles geworden war. Thomas wußte, daß die Bank wieder Druck machte. Briefe, die auf den Tischen im Wohnzimmer lagen, einige ungeöffnet. Geldforderungen.
Thomas war nicht bereit, sich darum zu kümmern. Er wußte, was kommen würde. Die baldige Zwangsräumung.Da konnten sich dann ja Vigdis und Johan endlich einbringen. Die Gleichgültigkeit, die seine Geschwister den Eltern gegenüber an den Tag legten, war unerhört. Sie scherten sich einen Dreck um Bergljot und Gordon. Ihre einzige Zuwendung bestand in lausigen Geburtstagsgeschenken, überreicht nach kurzer Umarmung, um nach fünf Minuten wieder zu verschwinden. Weder Vigdis noch Johan würden vor dem nächsten Sommer im Pflegeheim auftauchen, dessen war er sicher. Und er fühlte sich zunehmend als gutmütiger Trottel, der immer zuviel gab und zuwenig zurückbekam.
Für Elisabeth, Annika und Line konnte er alles geben, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Aber er merkte, wie sehr es ihn ärgerte, daß Vigdis und Johan an allem, was die Eltern anging, total desinteressiert und gleichgültig waren. In ihren Augen war er einfach dumm. Als sei die Gesellschaft nicht für die Art von Fürsorge, wie er sie leistete, eingerichtet. Besonders wenn er ins Papiergeschäft ging, um eine Packung spezielle Büroklammern für seinen Vater zu kaufen, dachte er, daß er nicht ganz gescheit war.
Und dabei waren das die Dinge, über die sich Gordon freute. Er hatte sein eigenes Archivsystem. Er liebte es, genau diese Art von Büroklammern zu benutzen, um Zeitungsartikel, Rechnungen oder Briefe zusammenzuheften. Genauso wie Bergljot eine bestimmte Seife liebte, Eau de Cologne, Deodorant, das schwer zu kriegen war, weil diese Produkte aus einer verschwundenen Zeit stammten und fast vergessen waren. Aber bisher war es Thomas Brenner immer wieder gelungen, diese Gegenstände aufzutreiben und die Wünsche der Eltern weitgehend zu erfüllen. Das war herzlich wenig verglichen mit dem, was Elisabeth leistete, dachte er. Sie lebte in ständiger Bereitschaft. Tullakonnte sie jederzeit anrufen. Das Haustelefon klingelte fast zu allen Tageszeiten.
Für Thomas hatte sich keine Möglichkeit mehr ergeben, Elisabeths Brust noch einmal zu betasten. Allerdings wirkte Elisabeth auch gar nicht mehr so müde und frustriert wie in letzter Zeit. Die Töchter trafen sich sogar im Dahl-Haus und flüsterten und tuschelten mit der Mutter über die Festvorbereitung. Das war so typisch
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