Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
Elisabeth, dachte er. Dieses Fest sollte nicht für sie sein, sondern für all die anderen, die sie kannte und mochte. Hemmungslos lud sie ein, und auch frühere Feinde wurden auf einmal zu Freunden.
Einige der widerlichsten Typen von Telenor waren dabei. Thomas Brenner ließ sich nichts anmerken. Er wünschte sich, daß dieser sechzigste Geburtstag für alle zum unvergeßlichen Ereignis wurde. Seine Frau sollte glänzen, sollte ihren alten Witz wiederfinden, sogar die alten, obskuren Schriftstellerfreunde sollten auftauchen und auf ihre erbärmliche, kaputte, selbstverliebte Art dazu beitragen, daß Elisabeth Dahl in um so größerem Glanz erstrahlte. Sie waren Autoren aus seiner ersten Zeit mit Elisabeth, und er kannte sie kaum. Ähnlich wie die Leute von Telenor kreisten sie nur um sich selbst und setzten alle Kraft ein, um etwas Großes zu schaffen, mit dem sie ihr übriges Leben prahlen konnten. Alle Achtung! hatte er gedacht, daß Elisabeth aufgehört hatte, bei diesen Menschen eine Bestätigung für ihr Leben zu suchen.
Sie waren trotzdem willkommen an einem solchen Tag. Alle, die Elisabeth willkommen hieß, egal wie unmöglich sie waren. Und so wurde dieser Abend, dachte er im nachhinein, in dem gemieteten Lokal in Slemdal ein buntes Fest, auf dem Menschen aus den verschiedensten Lebensbereichen zusammentrafen. Der einzige gemeinsame Nenner war, daß die meisten Akademiker waren. Er stand in der Tür und empfing zusammen mit Elisabeth die Gäste.
In den letzten Tagen hatte sie endlich Hilfe bekommen von ihrer Schwester Janne. Thomas dachte fast nie an Janne. Sie wohnte in Son, war Elisabeths kleine Schwester, hatte aber im wahrsten Sinne des Wortes immer ihren eigenen Kurs bestimmt. Sie ähnelte Tulla so sehr, daß sie schon zu einem frühen Zeitpunkt erkannt hatte, daß für sie beide im Dahl-Haus kein Platz sein würde.
Sie gehörte zu den Frauen, die ständig umzogen. Seit Thomas Brenner sie kannte, steuerte sie auf Menschen zu, die sie versorgen konnten. Sie hatte keine andere Ausbildung als die intuitive Gabe, den reichsten Mann zu finden, die schönsten Landhäuser und, danach, das feinste Essen. Sie war kinderlos, unterhielt aber zu ihren zahllosen ehemaligen Liebhabern und Ehemännern einen engen Kontakt. Sie hatte in Hammerfest, in Trysil, in Tønsberg und in Son gewohnt. Und jedesmal mit ganzem Herzen. Jeder dieser Lebensabschnitte hatte für sie die höchste Erfüllung bedeutet.
Aber die Dinge hatten sich im Laufe der Jahre verändert. Sie hatte nie eigenes Geld verdient, sondern sich von ihren Lebensgefährten oder Ehemännern aushalten lassen, alles entweder Makler, Unternehmer oder Autohändler. Sie war eine blondere und fülligere Ausgabe von Elisabeth und sah, obwohl sie jünger war, älter aus. Die Begeisterung für Rotwein war nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Sie war lautstark und führte einige Male im Monat lange Telefongespräche mit der Schwester. Dann hörte Thomas, daß sich Elisabeths Stimme veränderte, einen gleichsam vertraulichen Ton annahm, wie er ihn nie für möglich gehalten hatte. Ähnlich wie Tulla verbreitete Janne immer Streß.
Und trotzdem hatte Thomas sie immer gemocht. Wenn sie im Dahl-Haus auftauchte, war es immer eine Überraschung. Sie hatte einen besonderen Draht zu Annika und Line, und jeder, der den hatte, gewann sein Herz. Diesmal kam sie aus Son angereist und bezog einige Tage vor dem sechzigsten Geburtstag ihrer Schwester ein Zimmer im Dahl-Haus. Er merkte, daß es für Elisabeth eine enorme Erleichterung war, ihre Schwester gerade jetzt in der Nähe zu haben.
Wenn er sah, wie sie sich im Haus bewegte, mit Annika plauderte, anfallende Arbeiten für seine Eltern übernahm, in der Küche Rotwein trank, dann wunderte er sich, daß der Kontakt zu ihr in den letzten Jahren nur sporadisch gewesen war. Sie war doch so umgänglich, so einfach, so offen. Momentan war sie ohne Mann. Sie hatte einen Fachmann für Segelyachten aus dem idyllischen Haus in Son gejagt und wollte im Sommer ein Künstlercafé eröffnen. In ihrem Dunstkreis verkehrten immer Liedermacher und Dichter.
Annika und Line waren vollauf mit der Garderobe beschäftigt. Wie eifrige kleine Mädchen nahmen sie Mäntel und Jacken entgegen. Line war schon am Vortag aus ihrer Wohnung gekommen, um der Familie bei den letzten Vorbereitungen behilflich zu sein. Den Verband hatte sie schon lange abgelegt, aber der Schorf am Handgelenk war noch zu sehen, und es würde eine Narbe zurückbleiben.
Ihm
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