Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
Champagnergläser, im Licht der Kronleuchter. Wie dankbar sie war. Die weichen Linien im Gesicht. Die dunklen, leuchtenden Augen. Die erhitzten Gesichter der Anwesenden. Dies war Elisabeths Abend, und alle wußten es und wünschten es.
Die Musiker spielten ihr Standardrepertoire, und man setzte sich zu Tisch. Er hatte Elisabeth vor einigen Tagen gefragt, ob es besondere Musikstücke gab, die sie sichwünschte, aber sie wollte sich nicht festlegen. Was das betraf, so war sie eher unbeholfen, dachte er. Klassische Musik und einige Popsongs rührten sie zutiefst, aber da gab es kein System. Sie war ein Mensch des Wortes und der Bücher. In ihrer Jugend war sie überwiegend mit jungen Autoren und Rockmusikern zusammengewesen, blasse Jünglinge, total von sich überzeugt, die im Café gesessen und Bier geschnorrt hatten, während sie über Neil Young und die Doors redeten und davon träumten, die Größten der Welt zu werden. Das war nie ihre Musik gewesen, erinnerte er sich. Aber sie fand auch nichts anderes statt dessen. Deshalb hatte er für sie Over the Rainbow ausgesucht.
Aber er glaubte nicht, daß ihr das auffiel. Die Gäste strömten in den großen Speisesaal, in dem Platz für über hundert Menschen war. Thomas Brenner hatte alle genau im Auge. Elisabeth und Annika hatten über eine Woche mit den Tischkarten gekämpft. Jetzt mußte alles stimmen. Menschen aus den verschiedensten Kreisen begegneten sich hier. Weil er nicht den vollen Überblick über die Gästeliste hatte, gab es viele Überraschungen. Es waren erstaunlich viele Schriftsteller gekommen, darunter zwei prominente, die von Anfang an den Eindruck erweckten, als wüßten sie, was Die Protuberanzen bedeutet hatten. Und dann war da noch ein Lyriker, der in all den Jahren leise Gedichte geschrieben hatte und über den Elisabeth nie geredet hatte.
Warum war er eingeladen? dachte Thomas und spürte einen Stich von Eifersucht. Er war in ihrem Alter, hatte noch keine grauen Haare, saß zusammengesunken am Tisch und wartete auf den Rotwein. Die eine Hand, die er halb in die Luft streckte, zitterte. Möglicherweise beginnender Parkinson. Aber er durfte sich jetzt nicht anEinzelheiten festklammern. Er mußte die Kontrolle behalten, auch wenn er nicht für den Ablauf des Programms verantwortlich war. Dazu hatte sich Elisabeth ihre beste Freundin aus Telenorzeiten auserkoren, die Globetrotterin Evelyn Moldskæd. Sie gehörte zu den Frauen, die voll Begeisterung Aufgaben übernahmen und dann nicht zu bremsen waren. Thomas hatte sie wegen der Veranstaltung angerufen, und sie hatte vom ersten Moment an die Regie übernommen. Er fand es wunderbar.
Von früheren Festen erinnerte er sich undeutlich an sie. An diese stattliche, auch physisch dominierende Frau, mit deutlichen Rundungen. Er hatte sie immer gemocht. Sie und Elisabeth mußten irgend etwas Besonderes auf einer ihrer Reisen erlebt haben. Merkwürdig, dachte er, wie wenig er von Elisabeths Reisen gewußt und verstanden hatte. Vielleicht, weil er damals die Verantwortung für die Mädchen gehabt hatte. Das war, bevor es Handys gab. Wenn man damals nach Rußland reiste, war man wirklich weg. Man meldete sich nicht täglich, um mitzuteilen, was es zu essen gegeben hatte.
Und wenn sie dann nach Hause kam, voller neuer Eindrücke, war in seiner Praxis jede Menge Arbeit liegengeblieben. Es gab kaum Gelegenheit, miteinander zu reden, deshalb blieb es bei kurzen Sätzen und ein paar Fotos: Funkmasten, Wiederaufbau einer vom Krieg verwüsteten Infrastruktur, Bilder von Menschen, die ein schweres Schicksal trugen.
Meistens war Elisabeth von diesen Eindrücken so aufgewühlt, daß sie nicht mehr in der Lage war, darüber zu sprechen. Die Menschen auf den Fotos blieben Abbilder. Und so verstrichen die Jahre. Vielleicht war das etwas, das er in seine Rede einflechten könnte, dachte er. All das, was man nicht über Elisabeths Leben wußte. Andererseitssollte man die Wichtigkeit dieser Auslandsreisen nicht übertreiben.
Aber jetzt ging es um andere Dinge. Alle hatten sich zu Tisch gesetzt. Die Musiker standen auf und gingen in die Küche, um sich die ihnen zugesagte Mahlzeit zu sichern.
Thomas Brenner setzte sich neben seine liebe Frau und hatte Annika an seiner anderen Seite. Elisabeth hatte Tulla und danach Line neben sich. Das Fest konnte anfangen. Evelyn Moldskæd erhob sich und begann mit den einführenden Worten. Ihre Rede war unpersönlich. Nichts sagen, was die Jubilarin des Abends charakterisieren
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