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Die Unsterblichen

Die Unsterblichen

Titel: Die Unsterblichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alyson Noël
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bei Multiple Choice gibt es keine große Auswahl mehr. Ich fahre mit den Fingern über die Fragen, und sofort sind die Antworten klar.
    Kunst jedoch ist etwas völlig anderes.
    Denn Talent kann man nicht vortäuschen.
    Und deshalb ist mein Bild auch so ziemlich das genaue Gegenteil von Damens.
    »Sternennacht?«, fragt er und deutet mit einem Kopfnicken auf meine tropfenübersäte, klägliche fleckig-blaue Leinwand, während ich mich vor Verlegenheit krümme und mich frage, wie er das bei einer so schlechten Arbeit hat erraten können. Und dann, nur um mir selbst noch eins reinzuwürgen, werfe ich erneut einen Blick auf seine mühelosen, geschwungenen Pinselstriche und füge das zu der niemals endenden Liste der Dinge hinzu, die er erstaunlich gut kann.
    Ganz im Ernst, zum Beispiel kann er in Englisch sämtliche Fragen von Mr. Robins beantworten, und das ist komisch, schließlich hatte er doch nur eine Nacht Zeit, alle dreihundertnochwas Seiten von Wuthering Heights zu überfliegen. Gar nicht zu reden davon, dass er normalerweise ganz nebenbei jede Menge historischer Fakten einstreut und über diese längst vergangenen Zeiten spricht, als wäre er wirklich dabei gewesen. Außerdem ist er mit beiden Händen gleich geschickt, was vielleicht nicht besonders toll klingt, bis man ihn mit einer Hand schreiben und mit der anderen malen sieht, ohne dass ihm eines von beiden zu missraten scheint. Von den Tulpen und dem Zauberstift will ich gar nicht erst anfangen.
    »Wie Pablo persönlich! Wunderbar!«, lobt Ms. Machado und streicht ihren langen, glänzenden Zopf glatt, während sie seine Leinwand betrachtet. Ihre Aura leuchtet in einem wunderschönen Kobaltblau, während ihre Gedanken Rad schlagen und Salti springen, vor Freude hüpfen und rasend schnell die Liste ehemaliger begabter Schüler durchgehen und ihr klar wird, dass sie niemals ein solches Naturtalent in ihrem Kurs gehabt hat - bis jetzt.
    »Und Ever?« Nach außen hin lächelt sie nach wie vor, doch insgeheim denkt sie Was in aller Welt soll denn das sein?
    »Oh, äh, das soll van Gogh sein. Sie wissen schon, Sternennacht?« Innerlich winde ich mich vor Scham; ihre Gedanken bestätigen meinen allerschlimmsten Verdacht.
    »Nun ja - ein ehrenvoller Anfang.« Sie nickt und gibt sich alle Mühe, eine neutrale, entspannte Miene beizubehalten. »Van Goghs Stil ist viel schwieriger, als es den Anschein hat. Vergiss die Gold- und Gelbtöne nicht! Schließlich ist es ja eine Sternennacht.«
    Ich sehe ihr nach, als sie davongeht und ihre Aura sich leuchtend ausdehnt; mir ist klar, dass ihr mein Bild nicht gefällt, aber ich finde es nett, dass sie sich solche Mühe gibt, es zu verbergen. Dann tauche ich ohne nachzudenken meinen Pinsel in Gelb, ohne vorher die blaue Farbe abzuwischen, und als ich ihn auf die Leinwand drücke, hinterlässt er einen großen grünen Klecks.
    »Wie machst du das?«, frage ich und schüttele hilflos den Kopf, während ich von Damens verblüffend gutem Bild auf mein verblüffend schlechtes schaue, vergleiche, gegenüberstelle und fühle, wie mein Selbstvertrauen abstürzt.
    Er lächelt, und sein Blick findet den meinen. »Was glaubst du denn, von wem Picasso das gelernt hat?«, fragt er.
    Ich lasse meinen Pinsel fallen, und zähflüssige grüne Farbe spritzt über meine Schuhe, meinen Kittel und mein Gesicht. Dann halte ich den Atem an, als er sich bückt, um ihn aufzuheben, ehe er ihn mir in die Hand drückt.
    »Jeder muss irgendwo anfangen«, sagt er. Seine Augen glühen dunkel, und seine Finger finden die Narbe auf meinem Gesicht.
    Die Narbe auf meiner Stirn.
    Die, die unter meinem Pony verborgen ist.
    Die, von der er nichts wissen kann.
    »Sogar Picasso hatte einen Lehrer.« Er lächelt, zieht die Hand und die Wärme, die sie mitgebracht hat, weg, und wendet sich wieder seinem Bild zu, während ich mich ermahne, weiterzuatmen.
     

ZEHN
    Am nächsten Morgen mache ich den Fehler Ripley zu bitten, mir bei der Auswahl eines Sweatshirts zu helfen.
    »Was meinst du?« Ich halte ein blaues hoch, ehe ich es gegen ein grünes tausche.
    »Nimm wieder das pinkfarbene«, sagt sie, während sie mit schief gelegtem Kopf auf meiner Kommode hockt, als würde sie die einzelnen Möglichkeiten abwägen.
    »Ich habe kein pinkfarbenes«, gebe ich finster zurück und wünsche mir, sie könnte zur Abwechslung einmal ernst sein und würde aufhören, aus allem so ein Riesenspiel zu machen. »Komm schon, hilf mir, ich muss zur Schule.«
    Blinzelnd reibt sie sich das

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