Die Unsterblichen
Kinn. »Würdest du das eher als himmelblau oder als kornblumenblau bezeichnen?«
»Das reicht.« Ich werfe das blaue Sweatshirt zur Seite und mache Anstalten, mir das grüne über den Kopf zu zerren. »Nimm das blaue.«
Ich halte inne; meine Augen schauen hervor, Nase und Kinn noch in Fleece versteckt.
»Im Ernst. Es betont deine Augen.« Einen Moment lang blinzle ich sie verkniffen an, dann ziehe ich das grüne wieder aus und tue, was sie sagt. Krame nach Lipgloss und will es gerade auftragen, als sie loslegt: »Okay, was ist Sache? Ich meine, die Sweatshirt-Krise, die feuchten Handflächen, das Make-up, was läuft da?«
»Ich trage doch gar kein Make-up«, wehre ich ab und zucke zusammen, als meine Stimme fast zu einem Brüllen ansteigt.
»Ich will mich ja nicht wegen einer reinen Formsache mit dir anlegen, Ever, aber Lipgloss zählt definitiv als Make-up. Und du, Schwesterherz, wolltest gerade welches aufpinseln.«
Ich lasse das Lipgloss wieder in die Schublade fallen, greife nach meinem Fettstift und schmiere damit einen wachsartigen, glanzlosen Strich über meine Lippen.
»Ah, hallo? Ich warte hier immer noch auf 'ne Antwort?«
Ich presse die Lippen zusammen, marschiere zur Tür hinaus und die Treppe hinunter.
»Schön, wie du willst. Aber glaub ja nicht, du kannst mich am Raten hindern«, sagt sie und folgt mir dicht auf den Fersen.
»Von mir aus«, knurre ich und gehe in die Garage.
»Also, wir wissen, dass es nicht Miles ist, denn du bist eigentlich nicht sein Typ, und wir wissen, dass es nicht Haven ist, denn sie ist nicht wirklich dein Typ, also bleibt nur -« Sie schlüpft durch die geschlossene Autotür auf den Vordersitz, während ich mich bemühe, nicht zusammenzufahren. »Na ja, ich glaube, damit ist dein Freundeskreis so ziemlich abgegrast, also sag's mir, ich gebe auf.«
Ich öffne die Garagentür und steige auf herkömmliche Weise in mein Auto, dann lasse ich den Motor aufheulen, um ihre Stimme zu übertönen.
»Du hast doch irgendwas vor«, beharrt sie über das Röhren hinweg. »Weil, entschuldige, wenn ich das so sage, aber du benimmst dich genauso wie damals, kurz bevor du was mit Brandon angefangen hast. Weiß du noch, wie nervös und paranoid du warst? Wie du überlegt hast, ob er auch auf dich steht und so, bla-bla-bla. Also komm schon, erzähl's mir. Wer ist der Unglückliche? Wer ist dein nächstes Opfer?«
Und genau in dem Augenblick, in dem sie das sagt, flammt ein Bild von Damen vor mir auf, und er sieht so toll aus, so sexy, so glühend und mit den Händen zu greifen, dass ich fast den Arm ausstrecke und ihn packe. Stattdessen räuspere ich mich nur, lege den Rückwärtsgang ein und antworte: »Niemand. Ich stehe auf niemanden. Aber verlass dich drauf, das ist das letzte Mal, dass ich dich um Hilfe gebeten habe.«
Kurz vor dem Englischunterricht bin ich genauso hibbelig, nervös und beklommen, wie Riley es mir vorgehalten hat, einschließlich schweißfeuchter Handflächen. Als ich jedoch sehe, wie Damen mit Stacia plaudert, füge ich dieser Liste noch paranoid hinzu.
»Ah, Entschuldigung«, sage ich, weil mir Damens wunderbar lange Beine den Weg versperren und den Platz von Stacias üblicher Stolperfalle einnehmen.
Doch er beachtet mich gar nicht, bleibt weiter auf ihrer Schreibplatte hocken, und ich sehe, wie er ihr hinters Ohr greift und eine weiße Rosenknospe zu Tage fördert.
Eine einzelne weiße Rosenknospe.
Eine frische, blütenreine, glitzernde, taufeuchte weiße Rosenknospe.
Und als er sie ihr reicht, quietscht sie so laut, dass man glauben könnte, er hätte ihr gerade einen Diamanten verehrt.
»Oh. Mein. Gott! Wie hast du das gemacht?«, kreischt sie und wedelt mit der Rosenknospe herum, damit alle sie sehen können.
Ich presse die Lippen zusammen, fummele an meinem iPod herum und drehe ihn auf, bis ich sie nicht mehr hören kann.
»Ich muss mal vorbei«, murmele ich; meine Augen begegnen Damens, und ich fange ein ganz kurzes Aufblitzen von Wärme auf, ehe sein Blick zu Eis wird und er mir den Weg frei macht.
Rasch marschiere ich auf meinen Platz zu, meine Füße bewegen sich so, wie sie sollen, immer einer vor den anderen, wie ein Zombie, wie ein Roboter, wie irgendetwas Tumbes, Stummes, das lediglich die einprogrammierten Bewegungen abspult, unfähig, selbstständig zu denken. Dann lasse ich mich auf meinem Stuhl nieder und mache weiter, hole Papier, Bücher und einen Stift hervor und gebe vor, nicht zu merken, wie widerwillig Damen ist, wie
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