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Die Unsterblichen

Die Unsterblichen

Titel: Die Unsterblichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alyson Noël
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nachzudenken. Ich versuche, nicht an unser Haus von damals zu denken, an meine Freunde von damals, an meine Familie von damals, an mich selbst von damals. Obwohl ich ziemlich gut darin geworden bin, dieses spezielle Unwetter abzubiegen, die spezifischen Zeichen zu deuten - die brennenden Augen, die Kurzatmigkeit, das überwältigende Gefühl von Leere und Verzweiflung -, bevor sie sich festsetzen können, erwischt es mich manchmal ohne Vorwarnung, ohne dass ich Zeit habe, mich darauf einzustellen. Alles, was ich tun kann, wenn das passiert, ist, mich ganz klein zusammenzurollen und darauf zu warten, dass es vorbeigeht.
    Was mitten im Geschichtsunterricht ziemlich schwierig ist.
    Während also Mr. Munoz sich endlos über Napoleon auslässt, schnürt sich mir die Kehle zu, mein Magen krampft sich zusammen, und meine Augen fangen so unvermittelt an zu brennen, dass ich aufspringe und zur Tür stürze, immun gegen die Stimme meines Lehrers, die mich auffordert, zurückzukommen, und gegen das abfällige Gelächter meiner Mitschüler.
    Blind vor Tränen biege ich um eine Ecke, schnappe nach Luft, mein Inneres fühlt sich leer an, ausgeräumt, eine leere Hülle, die in sich zusammenfällt. Und als ich Stada sehe, ist es viel zu spät, und ich rempele sie mit solcher Wucht und solcher Geschwindigkeit an, dass sie zu Boden geht und sich ein Loch ins Kleid reißt.
    »Scheiße, was-« Fassungslos starrt sie ihre ausgestreckten Beine und ihr Kleid an, ehe sie den Blick auf mich richtet. »Du hast es zerrissen, verdammte Scheiße, du durchgeknallter Freak!« Sie steckt die Faust durch den Riss, um den Schaden zu demonstrieren.
    Und obwohl ich ein schlechtes Gewissen habe, ist keine Zeit, ihr zu helfen. Die Trauer ist im Begriff, mich völlig zu verzehren, und ich kann nicht zulassen, dass sie das sieht.
    Ich mache Anstalten, einfach an ihr vorbeizugehen, und sie packt mich am Arm und müht sich ab, auf die Beine zu kommen. Die Berührung ihrer Haut erfüllt mich mit einer so finsteren, trostlosen Energie, dass es mir den Atem raubt.
    »Nur zu deiner Information, das hier ist ein Designerkleid. Was bedeutet, dass du es mir ersetzen wirst«, giftet sie, und ihre Finger drücken so heftig zu, dass ich befürchte, gleich ohnmächtig zu werden. »Und verlass dich drauf, das ist noch lange nicht alles.« Mit finsterer Miene schüttelt sie den Kopf. »Dir wird's noch so dermaßen leidtun, dass du mich umgerannt hast, du wirst dir wünschen, du wärst niemals auf dieser Schule gelandet.«
    »So wie Kendra?«, frage ich, und meine Beine sind plötzlich stabil, mein Magen beruhigt sich.
    Sie lockert ihren Griff, lässt mich aber nicht los.
    »Du hast damals die Drogen in ihren Spind getan. Du hast dafür gesorgt, dass sie rausfliegt. Du hast ihre Glaubwürdigkeit untergraben, damit sie dir glauben und nicht ihr«, fahre ich fort und fasse die Szene in meinem Kopf zusammen.
    Stada lässt meinen Arm los und tritt einen Schritt zurück. Alle Farbe weicht aus ihrem Gesicht, während sie hervorstößt: »Wer hat dir das erzählt? Du warst doch damals noch gar nicht hier.«
    Ich zucke mit den Schultern; ich weiß, dass das stimmt, allerdings tut das wohl kaum etwas zur Sache. »Oh, und da gibt's noch mehr.« Ich trete auf sie zu, mein persönliches Unwetter hat sich verzogen, meine überwältigende Trauer ist wie durch ein Wunder durch die Angst in ihren Augen geheilt worden. »Ich weiß, dass du bei Prüfungen mogelst, deine Eltern beklaust, deine Freunde, in Klamottenläden - soweit es dich angeht, ist alles Freiwild. Ich weiß, dass du die Telefongespräche mit Honor mitschneidest und eine Akte mit ihren E-Mails und SMS angelegt hast, für den Fall, dass sie mal beschließen sollte, sich gegen dich zu wenden. Ich weiß, dass du mit ihrem Stiefvater flirtest, was übrigens total widerlich ist, aber unglücklicherweise wird's noch viel schlimmer. Ich weiß Bescheid über Mr. Barnes - Barnum? Egal, du weißt schon, wen ich meine, deinen Geschichtslehrer aus der neunten Klasse? Den, den du zu verführen versucht hast? Und als er nicht mitgezogen hat, hast du stattdessen versucht, ihn zu erpressen, hast gedroht, es dem Direktor zu erzählen, und seiner armen, schwangeren Frau ...« Angewidert schüttele ich den Kopf; ihr Verhalten ist so armselig, so egoistisch, dass mir das Ganze kaum wirklich vorkommt.
    Und doch steht sie da vor mir, die Augen weit aufgerissen, mit bebenden Lippen, wie vor den Kopf geschlagen, dass all ihre schmutzigen kleinen

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