Die Unsterblichen
ich mir den furchtbaren Moment aus, wenn ich dort eintrete und wegen des gestrigen Schwänzens und des Zuspätkommens heute in Teufels Küche komme.
»Was ist denn los?«, fragt er, greift nach meiner Hand und verwandelt mein Inneres in flüssige Wärme. »Ich dachte, wir haben uns toll amüsiert? Ich dachte, es hat dir Spaß gemacht?«
Seufzend lehne ich mich gegen die niedrige Ziegelmauer. Ich wühle mich wackelig, schwach, vollkommen wehrlos.
»Oder wolltest du mich nur bei Laune halten?« Er drückt mir die Hand, seine Augen flehen mich an, nicht böse zu sein.
Und gerade als ich im Begriff bin, die Waffen zu strecken, gerade, als ich den Köder schon fast geschluckt habe, lasse ich seine Hand los und trete von ihm weg. Zucke innerlich zusammen, als die Erinnerung an Haven, an unser Telefongespräch und sein eigenartiges Verschwinden auf dem Freeway wie eine Flutwelle über mich hinwegbranden. »Wusstest du, dass Drina auch in Disneyland war?«, frage ich und merke in derselben Sekunde, wie zickig sich das anhört. Trotzdem, jetzt, da es heraus ist, kann ich ebenso gut gleich weitermachen. »Gibt's da etwas, das ich wissen sollte? Irgendwas, das du mir sagen musst?« Ich presse die Lippen aufeinander und mache mich auf das Schlimmste gefasst.
Doch er sieht mich einfach nur an, schaut mir fest in die Augen, während er antwortet: »Drina interessiert mich nicht. Du bist die Einzige, die mich interessiert.«
Ich starre auf den Boden, möchte ihm glauben, wünsche mir, es wäre so leicht. Er nimmt von Neuem meine Hand, und ich begreife, dass es wirklich so leicht ist, denn all meine Zweifel verfliegen einfach.
»Also, jetzt kommt der Teil, wo du mir sagst, dass es dir genauso geht«, meint er und schaut mich an.
Ich zögere, und mein Herz schlägt so heftig, dass ich sicher bin, er kann es hören. Aber ich warte zu lange, und der Augenblick verstreicht. Er legt mir den Arm um die Taille und führt mich zurück zum Tor.
»Ist schon okay.« Er lächelt. »Lass dir Zeit. Es hat keine Eile, da gibt's kein Verfallsdatum.« Er lacht. »Jetzt schaffen wir dich allerdings erst mal zum Unterricht.«
»Wir müssen zuerst ins Büro.« Wie angewurzelt bleibe ich stehen und starre ihn blinzelnd an. »Das Tor ist abgeschlossen, schon vergessen?«
Er schüttelt den Kopf. »Ever, das Tor ist nicht abgeschlossen.«
»Ah, entschuldige, aber ich habe gerade versucht, es zu öffnen. Es ist abgeschlossen«, erinnere ich ihn. Weder lächelt er. »Vertraust du mir?« Ich sehe ihn an.
»Was wird's dich schon groß kosten? Ein paar Schritte? Ein paar Verspätungsminuten mehr?«
Mein Blick wandert schnell zwischen dem Büro und ihm hin und her, dann schüttele ich den Kopf und folge ihm, bis zurück zum Tor, das unerklärlicherweise offen steht.
»Aber ich hab's doch gesehen! Und du auch!« Ich fahre zu ihm herum und verstehe nicht, wie das alles passiert sein kann. »Ich hab sogar daran gerüttelt, so fest ich konnte, und das Ding hat sich keinen Zentimeter gerührt.«
Er küsst mich einfach nur auf die Wange und schiebt mich hindurch. »Geh schon«, sagt er lachend. »Und mach dir keine Sorgen, Mr. Robins ist krank, und die Vertretung ist völlig von der Rolle. Dir passiert nichts.«
»Kommst du nicht mit?«, frage ich, während dieses bedürftige, panische Gefühl wieder in mir aufzusteigen beginnt.
Doch er zuckt lediglich die Achseln. »Ich bin mündig. Ich mache, was ich will.«
»Ja, aber ...« Ich gerate ins Stocken, und mir wird klar, dass seine Telefonnummer nicht das Einzige ist, was hier fehlt. Ich kenne diesen Typen kaum. Und ich komme nicht darum herum, mich zu fragen, wie es möglich ist, dass ich mich bei ihm so wohl fühle, so normal, wenn alles an ihm so unnormal ist.
Erst, als ich mich schon abgewendet habe, fällt mir ein, dass er noch gar nicht erklärt hat, was gestern Abend auf dem Freeway los war.
Noch ehe ich fragen kann, ist er neben mir, nimmt meine Hand und sagt: »Mein Nachbar hat angerufen. Mein Rasensprenger ist kaputt gegangen, und der Garten war überschwemmt. Ich habe versucht, dich auf mich aufmerksam zu machen, aber du hast telefoniert, und ich wollte dich nicht stören.«
Ich schaue auf unsere Hände hinunter, braun und blass, kräftig und zerbrechlich, so ein unwahrscheinliches Paar.
»Und jetzt geh. Wir sehen uns nach der Schule, ich versprech's.« Er lächelt und zieht eine rote Tulpe hinter meinem Ohr hervor.
Normalerweise versuche ich, nicht über mein altes Leben
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