Die Unsterblichen
kräftig, zum Teil, weil ich weiß, dass dieses Straßenstück im Moment Cop-freie Zone ist, und zum Teil, weil ich Haven, Drina und Damens seltsames Verschwinden hinter mir lassen möchte, alles - obwohl ich weiß, dass das nicht geht.
»Tut mir leid«, brummele ich schließlich, nehme den Fuß vom Gaspedal und verlangsame die Fahrt bis zur zugelassenen Geschwindigkeit.
»Ja, ja, schon gut. Ich bin nur - ich komme mir so mies vor, und ich weiß nicht, was ich tun soll.«
»Hast du ihre Eltern angerufen?«
»Ihre Mom ist 'ne Säuferin, wohnt irgendwo in Arizona, und ihr Dad ist abgehauen, als sie noch gar nicht geboren war. Und glaub mir, ihr Vermieter will einfach nur ihr Zeug aus der Wohnung haben, damit er sie neu vermieten kann. Wir haben das Ganze sogar der Polizei gemeldet, aber das hat die anscheinend nicht allzu sehr interessiert.«
»Ich weiß«, entgegne ich.
»Wie meinst du das, du weißt es?«
»Ich meine, ich weiß, wie dir zu Mute sein muss«, bemühe ich mich hastig, meinen Ausrutscher zu kaschieren.
Sie seufzt. »Und wo steckst du? Wieso warst du nicht beim Lunch?«
»Ich bin gerade im Laguna Canyon, auf dem Nachhauseweg von Disneyland. Damen ist mit mir hingefahren.« Bei der Erinnerung lächele ich, allerdings hält das nicht lange an.
»O mein Gott, das ist ja so was von abgefahren!«, stößt Haven hervor.
»Das kannst du laut sagen«, pflichte ich ihr bei. Ich habe mich noch immer nicht an die Vorstellung gewöhnt, dass er sich im Magic Kingdom vergnügt, auch nachdem ich es mit eigenen Augen gesehen habe.
»Nein, ich meine, Drina ist da auch hingefahren. Hat gesagt, sie wäre schon seit Jahren nicht mehr da gewesen und wollte sehen, was sich so verändert hat. Ist das nicht irre? Habt ihr sie getroffen?«
»Ah, nein«, antworte ich und versuche, ganz sachlich zu klingen, trotz meines rumorenden Magens, meiner feuchten Handflächen und einem überwältigenden Gefühl des Grauens.
»Hm. Komisch. Allerdings ist das ja auch ganz schön groß und voll.« Sie lacht.
»Ja. Ja, das stimmt«, bestätige ich. »Hör zu, ich muss Schluss machen, wir sehen uns morgen.« Und noch ehe sie antworten kann, fahre ich an den Straßenrand, parke am Rinnstein und scrolle meine Anruferliste hinunter, auf der Suche nach Damen. Mit aller Kraft dresche ich aufs Lenkrad ein, als ich sehe, dass bei seinem Anruf Keine Nummer angegeben ist.
Schöner Freund. Ich habe nicht mal seine Telefonnummer, geschweige denn, dass ich weiß, wo er wohnt.
SIEBZEHN
Gestern Abend, als Damen endlich anrief (jedenfalls nahm ich an, dass er es war, denn das Display zeigte keine Nummer an), ließ ich die Mailbox anspringen. Und während ich mich heute Morgen für die Schule fertig mache, lösche ich die Nachricht, ohne sie abzuhören.
»Bist du denn nicht wenigstens neugierig?«, will Riley wissen, die auf meinem Schreibtischstuhl kreiselt. Ihr glatt nach hinten gekämmtes Haar und das schwarze Matrix-Kostüm sind ein verschwommener dunkler Schatten.
»Nein.« Ich werfe einen bösen Blick auf das Mickymaus-Sweatshirt, das noch immer in der Tüte steckt, und greife dann nach einem, das er mir nicht gekauft hat.
»Na ja, du hättest mich ja die Mailbox abhören lassen können, dann hätte ich dir sagen können, was Sache ist.«
»Auf keinen Fall.« Ich drehe mein Haar zu einem Knoten zusammen und ramme dann einen Bleistift hinein, um es an seinem Platz zu halten.
»Also, jetzt lass es nicht an deinen Haaren aus. Ich meine, ganz ehrlich, was haben die dir denn getan?« Sie lacht. Doch als ich nicht antworte, sieht sie mich an und sagt: »Ich verstehe dich nicht. Warum bist du die ganze Zeit so wütend? Du hast ihn also auf dem Freeway aus den Augen verloren, und er hat vergessen, dir seine Handynummer zu geben. Na und? Ich meine, seit wann bist du so verflixt paranoid?« Ich wende mich ab und weiß, dass sie Recht hat. Ich bin wütend. Und paranoid. Und noch viel Schlimmeres als das. Schlicht und ergreifend eine ganz alltägliche, reizbare, Aura sehende, Gedanken hörende, Seelen spürende Standard-Verrückte. Was sie jedoch nicht weiß, ist, dass an der ganzen Geschichte mehr dran ist, als ich ihr zu erzählen gewillt bin.
Zum Beispiel, dass Drina uns nach Disneyland gefolgt ist.
Und dass Damen ständig verschwindet, wenn sie in der Nähe ist.
Ich wende mich wieder Riley zu und schüttele den Kopf, während ich ihr cooles, glänzendes Kostüm betrachte. »Wie lange willst du eigentlich noch Halloween
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