Die Unsterblichen
sich lächelnd um, ganz offensichtlich ist er zufrieden mit seinem Werk.
Und ohne ein weiteres Wort schieße ich los, zur Tür hinaus, den Flur hinunter, über den Schulhof und durchs Büro. Vorbei an zusammengesunkenen Sekretärinnen und Verwaltungsangestellten, die an ihren Schreibtischen schlafen, ehe ich durch die Tür auf den Parkplatz hinausstürze und auf meinen kleinen roten Miata zusprinte, wo Damen bereits wartet. Mein Rucksack baumelt von seinen Fingerspitzen.
»Ich hab's dir doch gesagt.« Achselzuckend gibt er mir meinen Rucksack zurück.
Verschwitzt stehe ich vor ihm, verzweifelt, völlig verstört. All jene lange vergessenen Augenblicke blitzen vor mir auf - sein blutverschmiertes Gesicht, Haven, die stöhnend um sich schlägt, dieses seltsame, unheimliche Zimmer -, und ich weiß, dass er etwas mit meinem Verstand angestellt hat, irgendetwas, damit ich mich nicht daran erinnere. Obgleich ich jemandem wie ihm nicht gewachsen bin, weigere ich mich, kampflos aufzugeben.
»Ever!«, ruft er und streckt die Hand nach mir aus, dann lässt er sie sinken. »Glaubst du etwa, ich habe das alles gemacht, um dich umzubringen?«
»War das nicht der Plan?« Wütend funkele ich ihn an. »Haven hält das Ganze für einen wüsten Gothic-Fiebertraum. Ich bin die Einzige, die die Wahrheit kennt. Ich bin die Einzige, die weiß, was für ein Ungeheuer du wirklich bist. Das Einzige, was ich nicht kapiere, ist, warum du uns nicht beide kaltgemacht hast, als du die Möglichkeit hattest.
Warum hast du dir die Mühe gemacht, meine Erinnerung wegzudrücken und mich am Leben gelassen?«
»Ich würde dir niemals etwas zu Leide tun«, beteuert er, und seine Augen sind voller Schmerz. »Du hast das völlig falsch aufgefasst. Ich wollte Haven retten, ich wollte ihr nichts tun. Du wolltest nur einfach nicht zuhören.«
»Und warum hat sie dann ausgesehen, als wäre sie dem Tode nahe?« Ich presse die Lippen zusammen, damit sie nicht zittern; meine Augen blicken unverwandt in seine, wehren sich aber gegen die Hitze, die von ihnen ausgeht.
»Weil sie wirklich dem Tode nahe war«, antwortet er; er klingt verdrossen. »Dieses Tattoo an ihrem Handgelenk hatte sich übel infiziert - es war im Begriff, sie umzubringen. Als du reingekommen bist, habe ich die Infektion gerade aus ihr herausgesaugt, wie man es mit einem Schlangenbiss macht.«
Abwehrend schüttele ich den Kopf. »Ich weiß doch, was ich gesehen habe.«
Er schließt die Augen, presst die Finger gegen die Nasenwurzel und holt lange und tief Atem, ehe er mich ansieht und sagt: »Ich weiß, wie es aussieht. Und ich weiß, dass du mir nicht glaubst. Aber ich habe versucht, es zu erklären, und du wolltest einfach nicht zuhören. Also habe ich all das hier gemacht, damit du mir endlich zuhörst. Denn, glaub mir, Ever, du liegst völlig falsch.«
Er sieht mich an, die Augen dunkel und eindringlich, die Hände gelöst und offen, doch ich kaufe ihm das nicht ab. Nicht ein einziges Wort. Er hatte hunderte, vielleicht tausende von Jahren Zeit, eine solche Vorstellung zu vervollkommnen, und das Ergebnis ist eine wirklich gute Show, aber trotzdem nur eine Show. Und obwohl ich nicht glauben kann, dass ich das gleich sagen werde, obwohl ich das alles nicht richtig in den Kopf kriege, gibt es nur eine einzige Erklärung, egal, wie verrückt sie ist.
»Ich weiß nur, dass ich will, dass du wieder in deinen Sarg steigst oder in deine Gruft oder wo immer du gehaust hast, bevor du hierher gekommen bist, und -.« Ich ringe nach Luft, habe das Gefühl, in einem grauenvollen Albtraum gefangen zu sein, wünsche mir, dass ich bald aufwachen möge. »Lass mich einfach in Ruhe - hau einfach ab!«
Kopfschüttelnd schließt er die Augen und unterdrückt ein Auflachen, während er antwortet: »Ich bin kein Vampir, Ever.«
»Ach ja? Beweise es!«, fahre ich ihn an. Meine Stimme zittert, meine Augen bohren sich in ihn, und ich bin absolut überzeugt, dass ich nur einen Rosenkranz, eine Knoblauchzehe und einen Holzpflock weit davon entfernt bin, alldem ein Ende zu machen.
Damen lacht nur. »Sei doch nicht albern. So was gibt's doch gar nicht.«
»Ich weiß, was ich gesehen habe«, beharre ich und sehe das Blut vor mir, Haven, diesen seltsamen, gruseligen Raum; und ich weiß, dass er es auch sehen wird, sobald es vor mir Gestalt annimmt. Überlege, wie er wohl seine Freundschaft mit Marie Antoinette zu erklären gedenkt, mit Picasso, van Gogh, Emily Bronte und William Shakespeare - die in
Weitere Kostenlose Bücher