Die Unsterblichen
einfach Bescheid wissen, wenn ich es sehe.
Und als ich mir den Zeh heftig an einem Felsen anstoße, falle ich heulend vor Schmerz zu Boden. Kurz darauf klingelt mein Handy, und ich habe mich wieder so weit gefasst, dass ich kaum noch wimmere.
»Ja?«, sage ich und mühe mich ab aufzustehen; mein Atem geht schnell und flach.
»Meldest du dich jetzt immer so am Telefon? Weil, also, das geht gar nicht.«
»Was gibt's, Miles?« Ich klopfe mich ab und gehe weiter den Pfad entlang, diesmal etwas achtsamer.
»Ich wollte nur, dass du weißt, dass du gerade eine ziemlich wilde Party verpasst. Und da wir ja alle wissen, wie gern du in letzter Zeit Party machst, dachte ich, ich lade dich ein. Obwohl, um ehrlich zu sein, ich sollte das Ganze gar nicht so sehr hypen, denn eigentlich ist es eher komisch als witzig. Ich meine, das solltest du echt sehen, dieser Canyon ist voll von hunderten von Gothic-Freaks, sieht aus wie 'n Dracula-Kongress oder so was.«
»Ist Haven da?«, will ich wissen, und mein Magen zieht sich unwillkürlich zusammen, als ich ihren Namen ausspreche.
»Ja, sie sucht nach Drina. Weißt du noch, dieses große geheime Event? Na, das hier ist es dann wohl. Das Mädchen kann einfach keine Geheimnisse bewahren, nicht einmal ihre eigenen.«
»Ich dachte, die beiden stehen gar nicht mehr auf Goth.«
»Das dachte Haven auch, und du kannst mir glauben, sie ist ziemlich sauer, weil sie total falsch angezogen ist.«
Ich habe kaum die Hügelkuppe erreicht, als ich das von Licht durchflutete Tal sehe. »Hast du gesagt, du bist im Canyon?«
»Ja.«
»Ich auch. Ich bin sogar fast da«, sage ich und mache mich daran, den Hügel auf der anderen Seite hinunterzusteigen.
»Moment mal - du bist hier?«
»Ja, ich gehe gerade auf das Licht zu.«
»Bist du auch zuerst durch den Tunnel gekommen? Haha, hast du kapiert?« Und als ich nicht antworte, fragt er: »Woher wusstest du überhaupt davon?«
Naja, ich bin völlig betrunken aufgewacht, und eine schwarze Feder hat meine Nase gekitzelt und ein unheimliches, prophetisches Gemälde hat an meiner Wand gelehnt, also habe ich genau das getan, was jede Wahnsinnige tun würde. Ich habe mir einen Mantel geschnappt, Flipflops angezogen und bin im Nachthemd aus dem Haus gerannt.
Da ich weiß, dass ich das so nicht formulieren kann, sage ich gar nichts. Was ihn nur noch misstrauischer macht.
»Hat Haven es dir erzählt?«, fragt er, und in seiner Stimme liegt eine unüberhörbare Schärfe. »Die hat nämlich geschworen, ich wäre der Einzige, dem sie's gesagt hat. Ich meine, nichts für ungut oder so. Aber trotzdem!«
»Nein, Miles, ich schwöre es, sie hat es mir nicht erzählt, ich hab's so rausgefunden. Ich bin fast da, wir sehen uns also gleich - wenn ich mich in diesem Nebel nicht verlaufe.«
»Nebel? Es ist doch überhaupt kein -«
Und ehe er den Satz zu Ende bringen kann, wird mir das Handy aus der Hand gerissen. Drina lächelt. »Hallo, Ever«, sagt sie. »Ich hab dir doch gesagt, dass wir uns wiedersehen.«
DREISSIG
Ich weiß, ich sollte davonlaufen, schreien, irgendetwas tun. Doch stattdessen stehe ich nur regungslos da; meine Gummischlappen kleben am Boden, als hätten sie Wurzeln geschlagen. Und ich starre Drina an und frage mich nicht nur, wie ich hier gelandet bin, sondern was in aller Welt sie vorhaben könnte.
»Ist Liebe nicht ätzend?« Sie lächelt mit schief gelegtem Kopf, während sie mich betrachtet. »Da triffst du den Mann deiner Träume und findest heraus, dass er zu toll ist, um wahr zu sein, einfach so. Jedenfalls zu toll für dich. Und ehe du dich versiehst, bist du todunglücklich und allein, und, na ja, wir wollen's nicht beschönigen, die meiste Zeit betrunken. Allerdings muss ich sagen, dass es mir großen Spaß gemacht hat, zuzusehen, wie du einer Teenagersucht verfällst. So vorhersehbar, so ... wie aus dem Lehrbuch. Weißt du, was ich meine? Die Lügen, die Heimlichtuerei, das Klauen, deine ganze Energie nur darauf gerichtet, dir deinen Stoff zu besorgen. Was mir meine Aufgabe nur noch leichter gemacht hat. Denn jeder Schluck, den du getrunken hast, hat nur deine Abwehr geschwächt. Der Alkohol hat all die Stimuli gedämpft, ja, aber er hat auch deinen Verstand verwundbar gemacht, weit offen, und für mich leichter zu manipulieren.« Sie packt meinen Arm; ihre scharfen Nägel bohren sich in mein Handgelenk, als sie mich zu sich heranzieht. Und obwohl ich versuche, mich loszureißen, ist es sinnlos. Sie ist abartig
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