Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks
eingereicht hatte, fällte das Oberste Gericht von Kalifornien in letzter Instanz ein Urteil gegen ihn: Wenn Gewebe – mit oder ohne Einwilligung – aus dem Körper entnommen wird, geht jeder Anspruch daran verloren. Wer in einer Arztpraxis oder in einem Labor Gewebe zurücklässt, erklärt es zu Abfall und gibt den Anspruch daran auf, so dass nun jeder den Abfall nehmen und nach Gutdünken verwerten kann. Da Moore seine Zellen abgegeben hatte, waren sie dem Urteil zufolge kein Produkt seines Körpers mehr. Sie hatten sich in eine Erfindung »verwandelt« und waren nun das Produkt von Goldes »menschlicher Kreativität« und seiner »erfinderischen Anstrengung«.
Moore wurde kein Anteil an den Gewinnen zugesprochen, der Richter gab ihm aber in zwei Punkten recht: Die Einverständniserklärung nach Aufklärung fehlte, weil Golde seine finanziellen Interessen nicht offengelegt hatte, und Golde hatte seine Sorgfaltspflicht verletzt, weil er seine Stellung als Arzt
ausgenutzt und das Vertrauen des Patienten missbraucht hatte. Das Gericht erklärte, Wissenschaftler sollten finanzielle Interessen an Patientengewebe offenlegen, auch wenn es gesetzlich nicht vorgeschrieben sei. Ebenso wies es darauf hin, dass Vorschriften und der Schutz der Patienten in der Gewebeforschung fehlten, und forderte vom Gesetzgeber eine Verbesserung dieser Situation. Es sagte aber auch, ein Urteil zu Moores Gunsten könne »den wirtschaftlichen Anreiz, wichtige medizinische Forschungsarbeiten durchzuführen, zunichtemachen«, und wenn man den Patienten ein Eigentumsrecht an ihrem Gewebe zuspreche, könne dies »die Forschung behindern, weil es den Zugang zu den notwendigen Ausgangsmaterialien einschränkt«; damit werde eine Situation geschaffen, in der »Wissenschaftler mit jeder Gewebeprobe ein Los in einer Prozesslotterie erwerben«.
Die Wissenschaftler triumphierten, und manche wurden sogar selbstgerecht. Der Dekan der medizinischen Fakultät der Stanford University sagte zu einem Reporter, die Patienten sollten keine Einwände gegen die Nutzung ihres Gewebes erheben, solange die Wissenschaftler ihre finanziellen Interessen offenlegten. »Wenn sie es täten, würden sie vermutlich noch mit einem durchgebrochenen Blinddarm dasitzen und verhandeln«, sagte er.
Obwohl die Presse eingehend über den Moore-Prozess berichtete, bekam die Familie Lacks davon nicht das Geringste mit. Und als im ganzen Land die Diskussion über das Eigentum an menschlichem Gewebe aufflammte, erzählten die Lacks-Brüder weiterhin jedem, der es hören wollte, Johns Hopkins habe die Zellen ihrer Mutter gestohlen und schulde ihnen deshalb Millionen von Dollars. Und Deborah verteilte Flugblätter über ihre Mutter und die Zellen mit den Worten: »Ich möchte nur, dass ihr dieses Papier lest! Und erzählt es allen! Wir wollen, dass die ganze Welt über meine Mutter Bescheid weiß.«
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Verletzung des Datenschutzes
E ntgegen ihren Befürchtungen starb Deborah an ihrem 30. Geburtstag nicht. Sie zog weiter ihre Kinder groß und arbeitete in verschiedenen Jobs – als Friseurin, Aushilfsnotarin, Chemiemischerin in einer Zementfabrik, Lebensmittelverkäuferin und Limousinenfahrerin.
Im Jahr 1980, vier Jahre nachdem sie sich von Cheetah hatte scheiden lassen, brachte Deborah ihr Auto zu einem Mechaniker namens James Pullum, der in einer nahe gelegenen Stahlfabrik arbeitete. Die beiden heirateten 1981 – damals war Deborah 31 und Pullum 46. Wenig später wurde er vom Herrn zu einer Nebentätigkeit als Prediger berufen. Vor seiner Erweckung war Pullum mehrmals mit dem Gesetz in Konflikt geraten, Deborah aber fühlte sich bei ihm in Sicherheit. Wenn er mit seiner Harley Davidson durch Baltimore fuhr, hatte er immer ein Messer in der Tasche, und auch die Pistole war nie weit. Als er von Deborah wissen wollte, warum er ihre Mutter nicht kennen lernen durfte, legte sie ihm den Artikel aus dem Rolling Stone aufs Bett. Nachdem er ihn gelesen hatte, sagte er, sie müsse sich einen Anwalt nehmen. Darauf erwiderte sie, er solle sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern. Schließlich eröffneten sie in einem Ladenlokal eine kleine Kirche, und eine Zeit lang machte Deborah sich wegen der Zellen ihrer Mutter keine großen Sorgen mehr.
Zakariyya wurde aus dem Gefängnis entlassen, nachdem er nur sieben Jahre seiner 15-jährigen Strafe abgesessen hatte. Er hatte sich zum Klimaanlagen- und Lastwagenmechaniker weitergebildet, kämpfte aber immer noch mit Jähzorn und Alkohol. Wenn
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