Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks
sich Filme ansehen, und eine Comicfigur des Verlages Marvel, die auch in mehreren Onlinespielen auftaucht: eine über zwei Meter große, halb schwarze und halb weiße Göttin, teilweise tot und teilweise lebendig, ausgestattet mit »unermesslicher« Intelligenz, »übermenschlicher« Kraft, »göttlicher« Ausdauer und Kondition und mehr als 200 Kilo Muskelmasse. Sie ist verantwortlich für Seuchen, Krankheiten und Katastrophen, selbst aber immun gegen Feuer, Strahlungen, Giftstoffe, Säuren, Krankheiten und Alterungsprozesse. Außerdem kann sie in der Luft schweben und den Geist der Menschen steuern.
Als Deborah im Internet diese Beschreibung für die Marvel-Gestalt Hela fand, glaubte sie, damit sei ihre Mutter gemeint: Alle Merkmale von Hela passten in irgendeiner Form zu dem, was Deborah über die Zellen ihrer Mutter gehört hatte. Wie sich aber herausstellte, hatte die Science-Fiction-Hela ihr Vorbild in der alten nordischen Todesgöttin, die in einem Land zwischen der Hölle und der Welt der Lebenden gefangen ist. Deborah glaubte, auch diese Göttin gehe auf ihre Mutter zurück.
Einmal klingelte gegen drei Uhr morgens bei mir das Telefon. Ich lag mit einer fiebrigen Grippe im Bett und hatte geschlafen. Am anderen Ende der Leitung schrie Deborah: »Ich hab dir doch gesagt, London hat meine Mutter geklont!« Ihre Stimme klang leise und durch das Ambien verwaschen.
Sie hatte bei Google HeLa, Klon, London und DNA eingegeben und Tausende von Treffern erhalten, darunter auch Zusammenfassungen wie die folgende aus einem Online-Chat über HeLa-Zellen: »Jede davon enthält eine genetische Blaupause für den Aufbau von Henrietta Lacks … Können wir sie klonen?« Der Name ihrer Mutter tauchte unter Überschriften
wie KLONEN und MENSCHENFARMEN auf, und sie glaubte, Tausende von Treffern seien ein Beweis, dass Wissenschaftler Tausende von Henriettas geklont hätten.
»Die haben sie nicht geklont«, sagte ich. »Die haben nur Kopien von ihren Zellen hergestellt. Das kann ich dir versichern.«
»Danke, Boo, tut mir leid, dass ich dich geweckt habe«, säuselte sie. »Aber wenn sie ihre Zellen klonen, heißt das nich auch, dass sie eines Tages meine Mutter klonen können?« »Nein«, sagte ich. »Gute Nacht.«
Nachdem Davon seine Großmutter über Wochen hinweg mehrmals völlig benommen mit dem Telefon in der Hand oder dem Gesicht auf der Tastatur gefunden hatte, sagte er seiner Mutter, er müsse jetzt immer in Deborahs Haus bleiben und auf sie aufpassen, wenn sie ihre Arznei genommen hatte.
Deborah nahm durchschnittlich 14 Tabletten am Tag. Damit blieben für sie nach den Leistungen der Versicherung ihres Mannes sowie der staatlichen Gesundheitsprogramme Medicaid und Medicare noch Kosten von 150 Dollar im Monat. »Ich glaub, es waren elf Rezepte«, erzählte sie mir einmal, »oder vielleicht auch zwölf. Ich komm da nich richtig mit, es ändert sich ja dauernd.« Ein Medikament gegen Säurereflux verteuerte sich von einem Monat zum nächsten von acht auf 135 Dollar, also nahm sie es nicht mehr, und irgendwann kündigte die Versicherung ihres Mannes die Kostenerstattung für Medikamente; nun teilte sie die Tabletten in der Mitte, damit sie länger reichten. Als das Ambien zur Neige ging, konnte sie nicht mehr schlafen, bis sie Nachschub bekam.
Wie sie mir erzählte, hatten die Ärzte ihr erstmals 1997 die Medikamente verschrieben. Damals sei sie in einer »Goldgräbersituation« gewesen, aber sie lehnte es ab, mir etwas darüber zu erzählen. Sie hatte bei der Sozialversicherung die Anerkennung als Schwerbehinderte beantragt, die war aber erst nach mehreren Gerichtsverhandlungen bewilligt worden.
»Die Leute von der Sozialversicherung haben gesagt, das würde sich alles nur in meinem Kopf abspielen«, berichtete sie.
»Am Ende haben sie mich zu ungefähr fünf Psychiatern und einer Menge Doktoren geschickt. Die haben gesagt, ich bin paranoid, ich bin schizophren, ich bin nervös. Ich hab Angst, Depression, kaputte Kniescheiben, Schleimbeutelentzündung, ausgeleierte Bandscheiben, Zucker, Osteoporose, hohen Blutdruck, Cholesterin. Ich weiß nich die Namen von allem, was mit mir nicht stimmt. Keine Ahnung, ob die überhaupt jemand weiß. Ich weiß nur, wenn ich in so einer Stimmung bin und Angst hab, versteck ich mich.«
Genau das, so sagte sie, sei passiert, als ich das erste Mal anrief.
»Ich war ganz aufgeregt und hab gesagt, ich will, dass ein Buch über meine Mutter geschrieben wird. Dann isses in meinem Kopf
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