Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks
schlug ihm mit ihrem Spazierstock gegens Bein. »Sei brav, sonst darfst du die Zellen nich sehn«, sagte sie.
Zakariyya hörte auf zu lachen und schloss sich uns an, als wir uns auf den Weg zu Christoph Lengauers Labor machten. Wenige Minuten später kam Christoph durch die Eingangshalle auf uns zu, lächelte und streckte die Hand aus. Er war Mitte 30, trug abgewetzte Bluejeans sowie ein blaukariertes Hemd und hatte struppige hellbraune Haare. Er schüttelte mir und Deborah die Hand, dann streckte er sie Zakariyya hin. Aber der rührte sich nicht.
»Na gut!«, sagte Christoph und sah Deborah an. »Es muss ganz schön schwer für Sie sein, in ein Labor am Hopkins zu kommen, nach allem, was Sie durchgemacht haben. Ich freue mich wirklich sehr, dass Sie hier sind.« Er sprach mit österreichischem Akzent, was dazu führte, dass Deborah in meiner Richtung die Augenbrauen runzelte, während er sich umdrehte und den Rufknopf für den Aufzug drückte. »Ich habe mir gedacht, wir fangen vielleicht in dem Raum mit den Gefriertruhen an. Dort kann ich Ihnen zeigen, wo wir die Zellen Ihrer Mutter aufbewahren, und anschließend sehen wir sie uns lebendig unter einem Mikroskop an.«
»Prima«, gab Deborah zurück, als hätte er gerade etwas ganz Alltägliches gesagt. Im Aufzug drängte sie sich an Zakariyya. Ihre eine Hand ruhte auf dem Spazierstock, mit der anderen griff sie nach ihrem zerfledderten Lexikon. Als die Tür sich öffnete, folgten wir Christoph im Gänsemarsch durch einen langen, schmalen Korridor. Wände und Decke vibrierten mit einem tiefen Summen, das auf unserem Weg immer lauter wurde. »Das ist die Lüftungsanlage«, rief Christoph. »Sie saugt alle Chemikalien und Zellen ab, damit wir sie nicht einatmen.« Er stieß die Tür zu seinem Labor auf und winkte einladend. »Hier bewahren wir alle Zellen auf«, rief er über das ohrenbetäubende
mechanische Summen hinweg, das Deborahs und Zakariyyas Hörgeräte pfeifen ließ. Zakariyyas Hand schoss nach oben und riss das Gerät aus dem Ohr. Deborah verstellte bei ihrem die Lautstärke, dann ging sie an Christoph vorüber in einen Raum, der von Wand zu Wand mit weißen Gefrierschränken gefüllt war. Sie standen übereinander und rumpelten wie eine Reihe von Waschmaschinen in einer Industriewäscherei. Deborah warf mir einen entsetzten Blick zu.
Christoph zog am Griff eines weißen Gefrierschrankes, der vom Boden bis zur Decke reichte. Die Tür öffnete sich mit einem Zischen und entließ eine Dampfwolke in den Raum. Deborah schrie auf und sprang hinter Zakariyya, der mit ausdruckslosem Gesicht dastand, die Hände in den Hosentaschen. »Keine Sorge«, rief Christoph, »das ist nicht gefährlich, es ist nur kalt. Das sind nicht minus zwanzig Grad Celsius wie in Ihrer Gefriertruhe zu Hause, sondern minus achtzig. Deshalb kommt Dampf heraus, wenn ich sie öffne.« Mit einer Bewegung forderte er Deborah auf, näher zu kommen.
»Der ist voll mit ihren Zellen«, sagte er.
Deborah löste die Hand, mit der sie sich an Zakariyya geklammert hatte, und wagte sich langsam vorwärts, bis der eisige Hauch ihr Gesicht traf. Dann stand sie da und starrte auf Tausende von zentimetergroßen Kunststoffgefäßen, die mit roter Flüssigkeit gefüllt waren.
»O Gott«, keuchte sie. »Ich kann gar nich glauben, dass das alles meine Mutter is.« Zakariyya stand nur schweigend da. Christoph griff in den Gefrierschrank, holte ein Gefäß heraus und zeigte auf die Buchstaben H-e-L-a , die seitlich darauf geschrieben waren. »Da drin sind Millionen und Abermillionen von ihren Zellen«, sagte er. »Vielleicht sogar Milliarden. Man kann sie hier ewig aufheben. Fünfzig Jahre, hundert Jahre oder noch länger – dann taut man sie einfach auf, und sie fangen wieder an zu wachsen.«
Er drehte das Gefäß mit den HeLa-Zellen in der Hand hin und her, während er darüber sprach, wie sorgfältig man sein muss, wenn man mit ihnen arbeitet. »Wir haben einen Extraraum nur für die Zellen«, sagte er. »Das ist sehr wichtig. Wenn man sie mit irgendetwas verunreinigt, kann man sie praktisch nicht mehr verwenden. Und man möchte ja auch nicht, dass die HeLa-Zellen andere Kulturen im Labor verunreinigen.« »Das is drüben in Russland passiert, stimmt’s?«, sagte Deborah.
Er stutzte, dann grinste er. »Ja«, sagte er. »Genau. Toll, dass Sie das wissen.« Er erklärte, wie es zu dem Problem mit den HeLa-Verunreinigungen gekommen war, und sagte dann: »Ihre Zellen haben Schäden von vielen Millionen
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