Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks
Dann wandte sie sich an Zakariyya: »Hast du gewusst, dass das hier der Mann ist, der dir das Bild geschenkt hat?«
Zakariyya blickte zu Boden und nickte. Seine Mundwinkel hoben sich zu einem kaum wahrnehmbaren Lächeln.
»In der DNA auf diesem Bild ist die ganze genetische Information,
die Henrietta zu Henrietta gemacht hat«, erklärte Christoph. »War Ihre Mutter groß oder klein?«
»Klein.«
»Und sie hatte dunkle Haare, stimmt’s?«
Wir nickten alle.
»Na ja, alle diese Informationen kamen aus ihrer DNA«, sagte er. »Ihr Krebs auch – der ist durch einen Fehler in der DNA entstanden.«
Deborahs Gesicht verdüsterte sich. Schon viele Male hatte sie gehört, sie habe einen Teil der DNA in den Zellen von ihrer Mutter geerbt. Sie wollte nicht hören, dass auch der Krebs ihrer Mutter in dieser DNA war.
»Solche Fehler können entstehen, wenn man mit Chemikalien oder Strahlung in Berührung kommt«, sagte Christoph. »Aber im Fall Ihrer Mutter wurde der Fehler durch HPV verursacht, das Genitalwarzenvirus. Für Sie ist das Gute daran, dass Kinder solche Veränderungen der DNA nicht von ihren Eltern erben – sie entstehen durch den Kontakt mit dem Virus.«
»Also haben wir nicht das Ding, das dafür sorgt, dass ihre Zellen ewig wachsen?«, wollte Deborah wissen. Christoph schüttelte den Kopf. »Und das sagen Se mir jetzt, nach so vielen Jahren«, rief Deborah. »Gott sei Dank, ich hab mich nämlich tatsächlich gefragt …!«
Sie zeigte auf eine Zelle auf dem Bildschirm, die länger aussah als die anderen. »Das hier is Krebs, stimmt’s? Und alle anderen hier sind normal?«
»Eigentlich ist HeLa ganz und gar Krebs«, erwiderte Christoph.
»Moment mal«, sagte sie, »Sie meinen, von den normalen Zellen unserer Mutter lebt keine mehr? Nur ihre Krebszellen?«
»So ist es.«
»Ach! Sehnse mal, und ich hab die ganze Zeit geglaubt, die normalen Zellen von meiner Mutter leben noch!«
Christoph beugte sich wieder über das Mikroskop und bewegte die Zellen schnell auf dem Bildschirm hin und her. Plötzlich rief er: »Sehen Sie mal hier! Sehen Sie diese Zelle?« Er zeigte auf die Mitte des Bildschirms. »Sehen Sie, dass sie einen großen Zellkern hat, der fast aussieht, als wäre er in der Mitte in zwei Teile geschnitten? Diese Zelle teilt sich genau vor unseren Augen und wird zu zwei Zellen! Und beide Zellen tragen die DNA Ihrer Mutter in sich.«
»Der Herr sei uns gnädig«, flüsterte Deborah und bedeckte den Mund mit der Hand.
Christoph sprach weiter über die Zellteilung, aber Deborah hörte nicht zu. Sie stand nur fasziniert da und beobachtete, wie eine Zelle ihrer Mutter sich zweiteilte, genau wie sie es getan hatte, als Henrietta ein Embryo im Leib ihrer Mutter war.
Deborah und Zakariyya starrten wie in Trance auf den Bildschirm, den Mund geöffnet, die Wangen schlaff. So nahe waren sie dem Erlebnis, ihre Mutter lebendig zu sehen, seit ihrer Zeit als Babys nicht mehr gekommen.
Nach langem Schweigen sprach jetzt auch Zakariyya.
»Wenn das die Zellen von unserer Mutter sind«, sagte er, »wie kommt es dann, dass die nich schwarz sind, obwohl sie doch eine Schwarze war?«
»Zellen haben unter dem Mikroskop keine Farbe«, erwiderte Christoph. »Sie sehen alle gleich aus – sie sind einfach durchsichtig, bis wir sie mit einem Farbstoff behandeln. Welche Hautfarbe ein Mensch hat, kann man an den Zellen nicht sehen.« Mit einer Bewegung forderte er Zakariyya auf, näher zu kommen. »Möchten Sie sie im Mikroskop ansehen? Dann schauen Sie am besten hier.«
Christoph erklärte Deborah und Zakariyya, wie man das Mikroskop bedient, und sagte dann: »Schauen Sie hier durch… Nehmen Sie die Brille ab … Jetzt stellen Sie mit diesem Knopf scharf.« Schließlich erschienen die Zellen in Deborahs Blickfeld.
Vorerst sah sie im Mikroskop nur eine Fülle von Zellen ihrer Mutter, gefärbt in einem unwirklich fluoreszierenden Grün.
»Sie sind wunderschön«, flüsterte sie und starrte wieder schweigend auf das Präparat. Ohne den Blick von den Zellen abzuwenden, sagte sie schließlich: »Du lieber Gott, ich hätte nie gedacht, dass ich meine Mutter im Mikroskop sehen kann – ich hätt mir nie träumen lassen, dass dieser Tag noch mal kommt.«
»Ja, ich glaube, das Hopkins hat da viel Mist gebaut«, sagte Christoph.
Deborah richtete sich ruckartig auf und sah ihn an. Sie war verblüfft, dass ein Wissenschaftler – und noch dazu ein Wissenschaftler des Hopkins – so etwas sagte. Dann blickte sie wieder
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