Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks
Dollar angerichtet. Hört sich ein bisschen nach ausgleichender Gerechtigkeit an, oder?«
»Meine Mutter wollte sich einfach an den Wissenschaftlern rächen, weil sie alles vor der Familie geheim gehalten haben«, erwiderte Deborah. »Man darf Henrietta nich verarschen – sonst schiebt sie euch HeLa in den Arsch!«
Alle lachten.
Christoph griff in den Gefrierschrank hinter sich, nahm ein weiteres Gefäß mit HeLa-Zellen heraus und hielt es Deborah hin. Einen Augenblick lang war sie verblüfft und starrte seine ausgestreckte Hand an, dann griff sie nach dem Gefäß und rieb es zwischen den Handflächen, als wäre Winter und sie wollte sich wärmen.
»Sie is kalt«, sagte Deborah, umschloss das Gefäß mit beiden Händen und blies darauf. Christoph schlug vor, wir sollten mit ihm zu dem Brutschrank kommen, wo er die Zellen aufwärmen konnte, aber Deborah bewegte sich nicht. Als sich Zakariyya und Christoph entfernten, hob sie das Gefäß in die Höhe und berührte es mit den Lippen.
»Du bist berühmt«, flüsterte sie. »Es weiß nur keiner.«
Christoph führte uns in ein kleines Labor, das mit Mikroskopen, Pipetten und Behältern mit Aufschriften wie »biologische Gefahr« und »DNA« vollgestopft war. Er zeigte auf die Abzugshauben über den Tischen und sagte: »Wir wollen nicht überall Krebszellen haben, deshalb saugt das hier die ganze Luft in ein Filtersystem, und dort werden alle Zellen, die hier herumfliegen, eingefangen und abgetötet.«
Er erklärte, was ein Kulturmedium ist und wie man die Zellen, die wachsen sollen, aus dem Gefrierschrank in den Brutschrank bringt. »Am Ende füllen sie die großen Flaschen da hinten aus«, sagte er und zeigte auf Reihen von 4-Liter-Gefäßen. »Dann machen wir unsere Versuche mit ihnen. Wenn wir beispielsweise ein neues Medikament gegen Krebs finden, schütten wir es auf die Zellen und beobachten, was dann passiert.« Zakariyya und Deborah nickten zustimmend, als er ihnen erklärte, wie Medikamente zuerst an Zellen, dann an Tieren und zuletzt an Menschen erprobt werden.
Christoph kniete sich vor einen Brutschrank, griff hinein und holte eine Schale heraus, in der HeLa-Zellen wuchsen. »Sie sind wirklich sehr, sehr klein, die Zellen«, sagte er. »Deshalb gehen wir jetzt zum Mikroskop, damit ich sie Ihnen zeigen kann.« Er legte ein paar Schalter um, schob die Schale auf den Objekttisch des Mikroskops und zeigte auf einen kleinen Monitor, der mit dem Instrument verbunden war. Er leuchtete in fluoreszierendem Grün auf.
»Hübsche Farbe!«, sagte Deborah.
Christoph beugte sich über das Mikroskop und stellte die Zellen scharf. Auf dem Monitor erschien ein Bild, das mehr nach trübgrünem Teichwasser aussah denn nach Zellen.
»Bei dieser Vergrößerung sieht man noch nichts Besonderes«, sagte Christoph. »Auf dem Bildschirm machen die Zellen nicht viel her, weil sie so klein sind. Selbst mit dem Mikroskop kann man sie manchmal nicht erkennen.« Er drehte an einem Knopf
und schaltete immer stärkere Vergrößerungen ein, bis in dem trüben Grün auf dem Bildschirm Hunderte von einzelnen Zellen mit dunkler, ausgebuchteter Mitte zum Vorschein kamen.
»Oooooh«, flüsterte Deborah. »Da sind sie.« Sie streckte die Hand aus, berührte den Bildschirm und wanderte mit dem Finger von einer Zelle zur nächsten.
Christoph zeichnete einen Umriss mit dem Finger nach. »Das alles hier ist eine Zelle«, sagte er. »Sie sieht ein bisschen wie ein Dreieck mit einem Kreis in der Mitte aus, sehen Sie das?«
Er nahm ein Blatt Papier und brachte fast eine halbe Stunde damit zu, Diagramme zu zeichnen und die grundlegenden biologischen Eigenschaften von Zellen zu erklären. Deborah stellte immer neue Fragen. Zakariyya schaltete sein Hörgerät wieder ein und beugte sich dicht zu Christoph und dem Papier.
Irgendwann sagte Deborah: »Alle reden immer von Zellen und DNA, aber ich versteh nich, was DNA is und was ihre Zellen sind.«
»Aha!«, sagte Christoph aufgeregt. »Die DNA ist in den Zellen! In jedem Zellkern. Wenn wir ihn noch mehr vergrößern könnten, würde man ein Stück DNA sehen, das ungefähr so aussieht.« Er zeichnete eine lange, gewundene Linie. »In jedem Zellkern eines Menschen liegen 46 solche DNA-Stücke. Die nennen wir Chromosomen – das sind die Dinger, die in dem großen Bild, das ich Ihnen geschenkt habe, bunt gefärbt waren.«
»Oh! Das Bild hat sich mein Bruder zu Hause neben unsere Mutter und unsere Schwester an die Wand gehängt«, sagte Deborah.
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