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Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks

Titel: Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Skloot
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das Gute konzentrieren, zum Beispiel die Zellen von meiner Mutter zu sehen oder mehr über meine Schwester zu erfahren.« Also fuhren wir mit zwei Autos nach Crownsville. Ich weiß nicht genau, was ich vom äußeren Erscheinungsbild der früheren Klinik für geisteskranke Neger erwartet hatte, aber
bestimmt nicht das, was wir vorfanden. Das Crownsville Hospital Center erstreckte sich über ein riesiges Gelände von fast 500 Hektar mit üppig grünen Hügeln, sauber geschnittenen Rasenflächen, Fußwegen, Kirschbäumen mit hängenden Ästen und Picknicktischen. Das Hauptgebäude war ein roter Backsteinbau mit weißen Säulen, dessen Eingangsveranda mit breiten Sesseln und Kronleuchtern geschmückt war, als müsste man hier Mint Juleps oder gesüßten Tee schlürfen. Eines der alten Klinikgebäude beherbergte jetzt eine Essensausgabe für Bedürftige; in anderen waren eine Ermittlungsabteilung der Kriminalpolizei, eine alternative Highschool und ein Rotary-Club untergebracht. Im Hauptgebäude gingen wir einen langen weißen Korridor entlang und an leeren Büros vorüber. Immer wieder riefen wir »Hallo« und »Ist da jemand?« oder »Is ja seltsam hier«. Am Ende des Korridors befand sich eine weiße Tür, die vom Schmutz und den Handabdrücken vieler Jahre zeugte. Sie trug in krakeligen Blockbuchstaben die Aufschrift KRANKENAKTEN. Darunter stand in kleinerer Schrift »Kein Zugang«. Deborah griff nach der Türklinke und holte tief Luft. »Sind wir so weit?«, fragte sie. Ich nickte. Sie griff mit einer Hand nach meinem Arm, stieß mit der anderen die Tür auf, und wir traten ein.
    Wir standen in einem engen weißen Metallkäfig, der in den Raum mit den Krankenakten führte – einen leeren Saal von der Größe eines Warenlagers ohne Personal, ohne Patienten, ohne Stühle, ohne Besucher und ohne Krankenakten. Die Fenster waren fest verrammelt und von Spinnweben und Schmutz bedeckt, der graue Teppich schlug Wellen von jahrzehntelangem Fußgängerverkehr. Längs durch den Raum zog sich eine hüfthohe Backsteinmauer, die den Wartebereich von der Fläche mit der Aufschrift NUR FÜR ZUGANGSBERECHTIGTE trennte. Dort standen mehrere Reihen hoher leerer Metallregale.

    »Ich glaub es nich«, flüsterte Deborah. »Die ganzen Akten sind weg?« Sie strich mit der Hand über die leeren Regale und murmelte: »1955 war das Jahr, in dem sie sie umgebracht haben … Ich will die Akten … Ich weiß, dass es nich gut war … Warum sollte man sie sonst wegschaffen?«
    Dass sich in Crownsville etwas Entsetzliches zugetragen hatte, brauchte uns niemand zu sagen – die Wände strahlten es aus.
    »Komm, wir suchen jemanden, der uns etwas erzählen kann«, sagte ich.
    Wir wanderten durch einen weiteren langen Flur, und plötzlich begann Deborah zu schreien. »’tschuldigung! Wir brauchen die Krankenakte! Weiß jemand, wo die is?«
    Schließlich steckte eine junge Frau den Kopf aus einem Büro und zeigte den Flur entlang zu einem anderen Büro, wo jemand uns wiederum zu einem dritten verwies. Schließlich standen wir im Arbeitszimmer eines großen Mannes mit dichtem, weißem Nikolausbart und kräftigen, buschigen Augenbrauen. Deborah ging auf ihn zu und sagte: »Hi, ich bin Deborah, und das is meine Reporterin. Sie haben bestimmt von uns gehört, meine Mama is historisch mit den Zellen, und wir müssen’ne Krankenakte finden.«
    Der Mann lächelte. »Wer war Ihre Mutter, und was sind das für Zellen?«, fragte er.
    Wir erklärten, warum wir hier waren, und er teilte uns mit, dass sich die neueren Krankenakten in einem anderen Gebäude befanden. Aus historischer Zeit war in Crownsville nicht mehr viel übrig. »Ich wäre froh, wenn wir einen Archivar hätten«, sagte er. »Aber ich fürchte, ich selbst komme dieser Position am nächsten.«
    Er hieß Paul Lurz und war in dem Krankenhaus der Direktor für Leistungskontrolle und -verbesserung. Zufällig war er aber auch Sozialarbeiter mit einem Abschluss in Geschichte, und
die war seine Leidenschaft. Mit einer Handbewegung lud er uns ein, in seinem Büro Platz zu nehmen.
    »In den Vierziger- und Fünfzigerjahren stand für die Behandlung von Farbigen nicht viel Geld zur Verfügung«, sagte er.
    »Ich fürchte, Crownsville war damals kein besonders angenehmer Ort.« Er sah Deborah an. »Ihre Schwester war hier?«
    Sie nickte.
    »Erzählen Sie mir von ihr.«
    »Mein Vater hat immer gesagt, sie wär im Kopf nie erwachsen geworden«, sagte sie, griff in ihre Brieftasche und holte eine zerknitterte

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