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Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks

Titel: Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Skloot
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Kopie von Elsies Sterbeurkunde heraus, die sie nun laut vorlas. »Elsie Lacks … Todesursache (a) Atemversagen (b) Epilepsie (c) Zerebralparese … Verbrachte fünf Jahre im Crownsville State Hospital.« Sie reichte Lurz das Bild ihrer Schwester, das bei Zakariyya an der Wand gehangen hatte. »Ich glaub nich, dass meine Schwester das alles hatte.«
    Lurz schüttelte den Kopf. »Auf diesem Bild sieht es nicht so aus, als ob sie eine Parese gehabt hätte. Was für ein niedliches Kind.«
    »Anfälle hatte se aber«, sagte Deborah. »Und se hat auch nie gelernt, wie man aufs Klo geht. Aber ich glaub, se war einfach nur taub. Ich und alle meine Brüder ham so’n bisschen Nerventaubheit, weil meine Mutter und mein Vater Cousin und Cousine waren und Syphilis hatten. Manchmal frag ich mich, ob se vielleicht noch am Leben wär, wenn jemand ihr die Gebärdensprache beigebracht hätte.«
    Lurz saß mit übergeschlagenen Beinen auf seinem Stuhl und betrachtete das Foto von Elsie. »Sie müssen sich auf etwas gefasst machen«, sagte er mit sanfter Stimme zu Deborah. »Etwas zu erfahren ist manchmal genauso schmerzlich, wie wenn man es nicht weiß.«
    »Ich bin bereit«, sagte Deborah und nickte.
    »Wir hatten große Probleme mit Asbest«, sagte er. »Die meisten Akten aus den Fünfzigerjahren und früherer Zeit waren
vergiftet. Statt aber jede Seite der Akten abzubürsten und sie so zu retten, traf die Verwaltung die Entscheidung, sie in Müllsäcken wegzuschaffen und zu vergraben.«
    Er ging in eine Aktenkammer neben seinem Schreibtisch, an deren Wänden Regale und Aktenschränke standen. In die hinterste Ecke hatte er einen kleinen Schreibtisch gezwängt, der zur Wand blickte. Lurz arbeitete seit 1964 in Crownsville; damals war er knapp über 20 und Student gewesen und hatte sich zur Aufgabe gemacht, potenzielle historische Dokumente zu sammeln: Patientenakten, Kopien von alten Aufnahmeberichten, die seine Aufmerksamkeit erregten – ein auf einem Auge blinder Säugling mit Gesichtsmissbildungen, der mutterseelenallein war auf der Welt, oder ein Kind, das ohne erkennbare psychiatrische Erkrankung in die Anstalt gekommen war. Lurz verschwand in der Kammer, und zwischen lauten Rumpel- und Schiebegeräuschen hörte man ihn murmeln: »Da waren ein paar … Vor ein paar Wochen hatte ich sie noch in der Hand … Ah! Da sind sie ja.« Als er aus der Kammer kam, hatte er einen Stapel Folianten mit dickem Lederrücken und dunkelgrünem Stoffeinband auf dem Arm. Sie waren vom Alter wellig geworden, von Staub bedeckt und bestanden aus dickem, vergilbtem Papier.
    »Das hier sind Obduktionsberichte«, sagte er und schlug das erste Buch auf. Schimmelgeruch breitete sich aus. Wie Lurz berichtete, hatte er die Bücher irgendwann in den Achtzigerjahren gefunden, als er im Keller eines verlassenen Klinikgebäudes herumgestöbert hatte. Als er sie zum ersten Mal geöffnet hatte, waren Hunderte von Wanzen aus den Büchern auf seinen Schreibtisch geflüchtet.
    Zwischen der Eröffnung der Klinik im Jahr 1910 und den späten Fünfzigerjahren, als man die Vergiftung der Unterlagen bemerkte, waren Zehntausende von Patienten in Crownsville gewesen. Wären ihre Akten noch erhalten, sie hätten Lurz’
kleinen Lagerraum mehrmals vollständig gefüllt. So aber war in Crownsville nur noch dieser Stapel übrig.
    Lurz zog einen Band heraus, der einige Berichte aus dem Jahr 1955 enthielt, in dem Elsie gestorben war. Deborah quiekte vor Aufregung.
    »Wie, sagten Sie, war ihr vollständiger Name?«, fragte Lurz und fuhr mit dem Finger eine lange Liste von Namen entlang, die in sauberer Handschrift neben den Seitenzahlen stand.
    »Elsie Lacks«, sagte ich und musterte über seine Schulter hinweg die Namen. Mein Herz raste. Dann zeigte ich wie in Trance auf die Worte Elsie Lacks und sagte: »Mein Gott! Da ist sie!«
    Deborah schnappte nach Luft, und ihr Gesicht war plötzlich aschfahl. Sie schloss die Augen, griff nach meinem Arm, um sich zu beruhigen, und flüsterte: »Ich danke Dir, Herr … Ich danke Dir.«
    »Wow, das überrascht mich aber«, sagte Lurz. »Dass sie hier drinsteht, war mehr als unwahrscheinlich.«
    Deborah und ich hüpften herum und klatschten in die Hände. Ganz gleich, was der Bericht enthielt, wir würden daraus zumindest etwas über Elsies Leben erfahren. Das, so dachten wir, war besser, als überhaupt nichts zu wissen.
    Lurz schlug die Seite über Elsie auf, schloss dann plötzlich die Augen und drückte sich das Buch an die Brust, bevor

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