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Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks

Titel: Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Skloot
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aus Clover und ganz Turner Station ein, um zu helfen: Sie kochten für die Familie und kümmerten sich um die Babys. Zu Dutzenden kamen und gingen sie, brachten Kinder und Enkelkinder, Nichten und Neffen mit. Und eine – wer, wusste niemand genau – brachte die Tuberkulose mit. Schon wenige Wochen nach Henriettas Tod fiel der TB-Test bei Sonny, Deborah und dem kleinen Joe – alle zwischen einem und vier Jahre alt – positiv aus.
    Der Arzt schickte Deborah mit Tuberkulosetabletten, groß wie Gewehrkugeln, nach Hause. Anders sah die Sache bei ihrem kleinen Bruder Joe aus. Er war erst ein knappes Jahr alt und wäre fast an der Krankheit gestorben. Joe verbrachte große Teile seines zweiten Lebensjahres im Krankenhaus und hustete auf der Isolierstation Blut. Danach wurde er monatelang von einer Cousine zur nächsten weitergereicht.
    Da Day zwei Jobs hatte, brach Lawrence die Schule ab und versorgte seine Brüder und Deborah. Hin und wieder wollte er aber auch ausgehen und die Billardlokale besuchen. Er war erst 16 und durfte eigentlich nicht hinein, gab aber ein falsches Alter an und beschaffte sich sogar eine Wählerregistrierungskarte, die besagte, dass er 18 war. Und niemand konnte ihm Gegenteiliges beweisen: Er war auf dem Fußboden des Home-House zur Welt gekommen und besaß weder eine Geburtsurkunde noch eine Sozialversicherungskarte. Aber sein Plan wurde zum Eigentor: Wegen des Koreakrieges hatte der Kongress das Mindestalter für den Wehrdienst gerade auf achtzehneinhalb
Jahre gesenkt, und so wurde Lawrence mit 16 eingezogen. Man schickte ihn nach Fort Belvoir, Virginia, wo er zwei Jahre bei einer Sanitätseinheit diente. Nachdem Lawrence weg war, musste nun jemand anders die Lacks-Kinder großziehen.
    Niemand erzählte Sonny, Deborah oder Joe, was mit ihrer Mutter geschehen war, und sie scheuten sich, danach zu fragen. Damals lautete die Regel im Haus: Du tust, was die Erwachsenen sagen, sonst setzt es Schläge. Sie mussten mit gefalteten Händen dasitzen und durften kein Wort sagen, solange sie nicht gefragt wurden. Der Erinnerung der Kinder nach war die Mutter am einen Tag noch da und am nächsten weg. Sie kam nie wieder, und an ihre Stelle trat Ethel.
    Ethel war die Frau, vor der Sadie und Henrietta sich früher im Tanzlokal versteckt hatten und von der Sadie und Margaret überzeugt waren, sie sei eifersüchtig auf Henrietta. Sie hieß bei ihnen nur »diese gehässige Frau«. Als sie mit ihrem Mann Galen in das Haus zog und bei der Kinderversorgung helfen wollte, wie sie sagte, waren Sadie und Margaret überzeugt, dass Ethel hinter Day her war. Wenig später machten Geschichten die Runde, wonach Ethel nicht mehr bei Galen, sondern bei Day schlief. Eine ganze Reihe von Cousinen glaubt noch heute, Ethel sei nur deshalb in das Haus gezogen und habe ein Verhältnis mit Day angefangen, um ihren Hass gegen Henrietta auszuleben und deren Kinder zu quälen.
    Henriettas Kinder wuchsen hungrig auf. Ethel gab ihnen jeden Morgen einen Zwieback, der musste bis zum Abendessen reichen. Am Kühlschrank und an den Türen der Küchenschränke brachte sie Schlösser und Riegel an, damit sich die Kinder nicht zwischen den Mahlzeiten bedienten. Sie durften kein Eis in ihr Wasser geben, weil das Geräusche machte. Wenn sie brav waren, gab sie ihnen manchmal eine Scheibe Mortadella oder ein kaltes Würstchen, oder sie schüttete das Fett aus der Bratpfanne
auf den Zwieback, oder sie mischte als Nachtisch ein wenig Wasser mit Essig und Zucker. Allerdings kam es äußerst selten vor, dass die Kinder in ihren Augen brav waren.
    Lawrence kam 1953 vom Militärdienst zurück und zog in ein eigenes Haus – er hatte keine Ahnung, was Ethel seinen Brüdern und Deborah antat. Als die Kinder größer wurden, weckte Ethel sie beim Morgengrauen, damit sie das Haus putzten, kochten, einkauften und wuschen. Im Sommer brachte sie sie nach Clover und schickte sie dort auf die Felder, wo sie mit bloßen Händen die Würmer von den Tabakblättern klauben mussten. Der Tabaksaft färbte ihre Finger, und wenn sie ihn in den Mund bekamen, wurde ihnen übel. Aber sie gewöhnten sich daran. Die Lacks-Kinder mussten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang arbeiten; Pause durften sie nicht machen, und selbst in der sommerlichen Hitze bekamen sie erst nach Einbruch der Dunkelheit etwas zu essen und zu trinken. Ethel beobachtete sie von der Couch oder von einem Fenster aus, und wenn einer die Arbeit einstellte, bevor sie ihn dazu aufgefordert hatte,

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