Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks
bedeutete. Bobbette erklärte es ihr, dann legte sie Deborah wieder einmal den Arm um die Schultern und bat sie, jetzt gut zuzuhören. »Ich weiß, dass deine Mutter und dein Vater und die ganzen Vettern sich irgendwie untereinander vermischen, aber du solltest das nicht tun, Dale. Vettern und Cousinen sollen keinen Sex miteinander haben. Das gehört sich nicht.«
Deborah nickte.
»Eins musst du mir versprechen«, sagte Bobbette. »Wenn einer es mit dir treiben will, wehrst du dich. Zur Not auch so, dass es ihm wehtut. Du darfst nicht zulassen, dass dich jemand anfasst.«
Deborah versprach es.
»Du musst zur Schule gehen«, sagte Bobbette. »Treib dich nicht mit den Vettern rum, und werd nicht schwanger, bevor du nicht erwachsen bist.«
Deborah hatte nicht vor, in nächster Zeit ein Baby zu bekommen, aber als sie 13 wurde, fing sie an, darüber nachzudenken, ob sie nicht vielleicht diesen Nachbarsjungen heiraten sollte, den alle Cheetah nannten. Das lag vor allem daran, dass sie
glaubte, Galen dürfe sie nicht mehr anfassen, wenn sie Ehefrau wäre. Außerdem spielte sie mit dem Gedanken, die Schule abzubrechen.
Wie ihre Brüder hatte auch sie in der Schule immer Schwierigkeiten gehabt, weil sie nur selten verstehen konnte, was der Lehrer sagte. Keines der Lacks-Kinder hörte gut, es sei denn, sein Gesprächspartner war ganz in der Nähe und sprach laut und deutlich. Man hatte ihnen aber beigebracht, sich in Gegenwart von Erwachsenen ruhig zu verhalten, und deshalb verheimlichten sie ihren Lehrern auch, dass sie so gut wie nichts von dem mitbekamen, was sie im Unterricht sagten. Allen wurde erst sehr viel später klar, dass sie schwerhörig waren und dringend ein Hörgerät brauchten.
Als Deborah zu Bobbette sagte, sie wolle die Schule verlassen, erwiderte die Ältere: »Wenn du nichts hören kannst, setzt du dich eben in die erste Reihe. Mir ist egal, was du machst, aber du brauchst eine ordentliche Ausbildung. Das ist deine einzige Hoffnung.«
Also ging Deborah nicht von der Schule ab. Die Sommerferien verbrachte sie immer in Clover, wo bald die Vettern anfingen, ihr nachzustellen. Manchmal zerrten sie sie auf ein Feld oder hinter ein Haus. Deborah wehrte sich mit Fäusten und Zähnen, und es dauerte nicht lange, da ließen die Vettern sie in Ruhe. Von da an verhöhnten sie sie, erklärten sie für hässlich und sagten: »Dale ist schäbig – sie ist schäbig geboren und wird immer schäbig bleiben.« Dennoch fragten drei oder vier Vettern, ob Deborah sie heiraten wolle. Darauf lachte sie nur und sagte: »Mann, bist du bekloppt? Kommt gar nich in die Tüte, klar? Is schlecht für das Kind!«
Bobbette hatte Deborah erklärt, sie und ihre Geschwister seien möglicherweise deshalb schwerhörig, weil ihre Eltern Cousin und Cousine ersten Grades waren. Deborah wusste, dass andere Vettern kleinwüchsige oder geistig zurückgebliebene Kinder
hatten, und fragte sich, ob nicht auch das, was mit Elsie passiert war, damit zusammenhing.
In ihrer Kindheit wusste Deborah lange nicht, dass sie überhaupt eine Schwester hatte. Als Day sie schließlich aufklärte, sagte er nur, Elsie sei taub und dumm gewesen und mit 15 in einem Heim gestorben. Deborah war am Boden zerstört. Sie wollte wissen, ob jemand versucht hatte, ihre Schwester die Gebärdensprache beizubringen. Nein, niemand.
Deborah flehte Lawrence an, ihr von ihrer Schwester zu erzählen, aber er sagte nur, sie sei hübsch gewesen und er habe sie überallhin mitnehmen müssen, um sie zu beschützen. Einen Gedanken wurde Deborah nicht los: Da Elsie nicht sprechen konnte, konnte sie sich im Gegensatz zu Deborah auch nicht verbal gegen Jungen zur Wehr setzen und es niemandem erzählen, wenn ihr etwas Schlimmes zugestoßen war. Deborah löcherte Lawrence regelrecht, er solle ihr alles über ihre Schwester und ihre Mutter sagen, was er in Erinnerung hatte. Aber eines Tages brach er in Tränen aus, und sie hörte auf, ihn mit Fragen zu bestürmen.
Als Deborah auf der Highschool war, lag sie nachts wach, weinte und machte sich Gedanken darüber, welche schrecklichen Dinge ihrer Mutter und ihrer Schwester wohl zugestoßen waren. Sie fragte Day und die Vettern ihrer Eltern: »Was um alles in der Welt ist mit meiner Schwester geschehen? Und wer war meine Mutter? Was ist ihr zugestoßen?« Darauf erwiderte Day immer und immer wieder das Gleiche: »Sie hieß Henrietta Lacks, und als sie gestorben ist, warst du noch so klein, dass du dich nicht daran erinnern
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