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Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks

Titel: Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Skloot
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ungehindert auf dem Anwesen herumstreiften, durchgebrochen. Und oben, in dem Zimmer, das Henrietta einst mit Day geteilt hatte, lagen noch ein paar Überreste menschlichen Lebens auf dem Boden: ein mitgenommener Arbeitsstiefel mit Metallösen, aber ohne Schnürsenkel, eine Limonadenflasche mit weiß-rotem Etikett, ein winziger, eleganter Damenschuh mit offener Spitze. Ich fragte mich, ob er wohl Henrietta gehört hatte.
    »Durchaus möglich«, sagte Cliff. »Sieht ganz so aus.«
    Er deutete auf die ehemalige Rückwand; vor Jahren schon eingestürzt, war jetzt kaum mehr davon übrig als die Rahmen zweier großer Fenster. »Da hat Henrietta geschlafen.«
    Sie hatte häufig auf dem Bauch gelegen und durch diese Fenster geblickt. Draußen hatte sie den Wald und den Familienfriedhof gesehen, eine kleine Lichtung von vielleicht 1000 Quadratmetern, auf der mehrere verstreute Grabsteine mit Stacheldraht
eingezäunt waren. Dieselben Kühe, die den Fußboden des Home-House zertrampelt hatten, hatten auch den Friedhofszaun an mehreren Stellen zerstört. Sie hatten Dung und Hufabdrücke auf den Gräbern hinterlassen, Blumengebinde zu Haufen aus Stängeln, Bändern und Styropor gemacht und mehrere Grabsteine umgeworfen, so dass sie jetzt neben ihren Fundamenten flach auf dem Boden lagen.
    Als wir wieder nach draußen gingen, schüttelte Cliff den Kopf und hob die zwei Hälften eines zerbrochenen Schildes auf. Auf einem stand WIR LIEBEN, auf dem anderen MAMA.
    Einige Grabsteine der Familie waren selbst gemacht und aus Beton, andere offenbar gekauft und aus Marmor. »Das waren die Leute mit Geld«, sagte Cliff und zeigte auf einen Marmorstein. Viele Gräber waren durch Metallschilder von der Größe einer Karteikarte gekennzeichnet, die auf Pfählen standen und Namen und Daten aufwiesen; die anderen waren nicht markiert.
    »Früher haben wir einen Stein auf die Gräber gelegt, damit wir sie wiederfinden«, erzählte mir Cliff. »Aber einmal haben sie den Friedhof mit einem Bulldozer aufgeräumt, und dabei haben sie die Steine beiseitegeschoben.« Wie er mir weiter erklärte, waren mittlerweile so viele Menschen auf dem Lacks-Friedhof beerdigt, dass ihnen schon vor Jahrzehnten der Platz ausgegangen war; seitdem wurden die Toten übereinander bestattet.
    Er zeigte auf eine Vertiefung im Boden, die keine Kennzeichnung trug. »Das war ein guter Freund von mir«, sagte er. Dann deutete er mit einer Armbewegung über den Friedhof auf andere Vertiefungen von der Größe eines menschlichen Körpers. »Sehen Sie da die eingesunkene Stelle … und die Stelle da … und da … Das sind alles unmarkierte, anonyme Gräber. Nach einiger Zeit, wenn sich die Erde gesetzt hat, sinken sie ein.« Hin und wieder deutete er auf einen kleinen, glatten Stein, der
aus der Erde ragte, und erklärte, dies sei eine Cousine oder eine Tante.
    »Das da ist Henriettas Mutter.« Er zeigte auf einen einzeln stehenden Grabstein fast am Rand des Friedhofs. Er war von Bäumen und wilden Rosen umgeben und fast einen Meter hoch. Seine Vorderseite war vom Wetter vieler Jahre rau und braun geworden. Die Inschrift lautete:
    ELIZA
EHEFRAU VON J. R. PLEASANT
12. JULI 1888
28. OKTOBER 1924
GEGANGEN ABER NICHT VERGESSEN
    Bis ich diese Daten las, hatte ich noch nicht nachgerechnet: Henrietta war knapp vier Jahre alt gewesen, als sie ihre Mutter verlor, und ungefähr das gleiche Alter hatte Sonny, als Henrietta starb.
    »Henrietta ist oft hergekommen und hat mit ihrer Mutter gesprochen. Sie hat das Grab wirklich gut gepflegt. Jetzt ist Henrietta irgendwo da drin bei ihr«, sagte Cliff und wedelte mit den Armen in Richtung der Lichtung zwischen Elizas Grabstein und einem rund fünf Meter entfernten Baum. »Sie hat nie eine Beschriftung bekommen, deshalb kann ich Ihnen nicht genau sagen, wo sie ist, aber enge Verwandte sind nebeneinander beerdigt worden. Sie liegt also vermutlich irgendwo hier.«
    Er deutete auf drei körpergroße Vertiefungen im Boden der Lichtung und sagte: »Eine davon könnte Henrietta sein.« Schweigend standen wir da, während Cliff mit dem großen Zeh die Erde beiseiteschob.
    »Ich weiß nicht, was es mit diesem Deal mit den Zellen von Henrietta auf sich hat«, sagte er schließlich. »Hier in der Gegend
hat keiner irgendwas davon gesagt. Ich weiß nur, dass es was Besonderes gewesen sein muss, denn schließlich ist sie schon eine ganze Weile tot, und ihre Zellen leben immer noch. Das ist erstaunlich.« Er trat mit dem Fuß gegen die Erde. »Ich hab

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