Die unterirdische Sonne
wussten, dass es Tage gab, an denen die Männer Drogen genommen oder zu viel gesoffen hatten und unberechenbar waren. Nicht mal der Hund vom Bauer Riemer, dachte Eike dann, würde jemals so ausrasten wie der eine Kerl in dem Zimmer. Sogar wenn er Rattengift gefressen hätte, wäre Boss nicht so feige, sich in einen Welpen zu verbeißen. Davon war Eike überzeugt, und er überlegte, ob er Conrad das sagen sollte, um ihn irgendwie zu trösten oder abzulenken.
Doch Eike schwieg. Heut noch, dachte er, aber lang halt ich nicht mehr still, das schwör ich euch, und dann schneid ich euch das Herz raus und nagel es an die Wand.
Wie von einem elektrischen Schlag getroffen, sprang Eike auf, stürzte zur Tür und trat mit dem rechten Fuß zweimal dagegen.
Im selben Moment ging das Licht aus.
»Immer noch keine Angst, oder was?«
Seit fünf Minuten lehnte Eike an der Eisentür und verspürte nicht die geringste Lust, ins Bad zu gehen und seinen Putzdienst zu beginnen. Üble Träume hatten ihn durch die Nacht gescheucht. Dass Conrad ihn zwei Mal aufgeweckt und ermahnt hatte, ruhig zu sein, kotzte ihn immer noch an.
»Du kannst nicht schlafen vor lauter Schiss. Schau mal in den Spiegel, dann weißt du, wie einer aussieht, der sich bepisst vor Angst.«
»H-hör endlich a-auf, Ei-Eike.«
»Ich h-hör a-aber n-nicht a-a-auf«, äffte er Maren nach. »Was glotzt du so blöde?«
»Was ist denn mit dir los?«, sagte Sophia, die neben Maren am Tisch saß. Conrad hockte, an die Wand gelehnt, noch auf seiner Matratze. Er hatte kaum geschlafen, konnte sich an keinen Traum erinnern und hörte immer noch Eikes furchterregendes Keuchen in der Nacht.
Ansatzlos schlug Eike mit der flachen Hand gegen die Tür. Obwohl er klein war, besaß er eine enorme Kraft in den Armen. Sein gedrungener Körper schien zu vibrieren, während er immer lauter redete und sein Gesicht eine dunkelrote Färbung annahm. »Verarsch mich bloß nicht«, rief er.
Maren warf einen ängstlichen Blick zur Kamera über der Tür.
»Solche wie dich kenn ich. Mein Bruder ist so einer. Ihr seid alle feige und verlogen. Wenn’s drauf ankommt, verpisst ihr euch zu Mami. Bei den Mädchen kommst du groß raus, Conrad, das kann jeder. Du tust bloß so, und in Wirklichkeit geht es dir am Arsch vorbei, wie’s den andern geht und was eigentlich los ist. Weil du nur an dich selber denkst, die ganze Zeit. Du überlegst dir, wie du dich wegschleichen kannst, ohne dass wer was merkt. Stimmt’s? Ich sag dir mal was, hör zu. Hör mir bloß zu, sonst komm ich rüber und tret dir wohin, dass du dir wünschst, du wärst ein Mädchen. Linus ist genau so einer wie du, der rührt keinen Finger für irgendwen, nur für sich selber. So ist das bei uns in der Familie, hat er von seinem Vater geerbt. Mein Alter lebt nicht mehr. Hör zu. Er will Fußballprofi werden. Denkt, er kriegt das hin …«
»W-wie der L-Leon«, sagte Maren und sah an Eike vorbei zur Tür. »D-der w-will auch F-Fußballer w-werden. H-hat er erzählt, d-das ist s-sein T-Traum …«
»Halt deine Klappe. Halt bloß die Klappe. Ich will, dass du nie wieder was sagst. Kapiert?« Eike beugte sich vor und schrie zum Tisch. »Nie mehr wieder, so lang ich hier bin, hast du das kapiert, blöde Kuh?«
Danach war es vollkommen still.
Eike keuchte. Conrad starrte ihn ebenso erschrocken wie ratlos an. Auch in der Nacht hatte Eikes Stimme wie die eines gehetzten Tieres geklungen und sein schweißnasses Gesicht hatte geglüht. Conrad fürchtete sich vor dem fünf Jahre Jüngeren.
»Drehst du jetzt durch?«, sagte Sophia.
»Was? Was?«, schrie Eike.
Maren rechnete jeden Moment damit, dass jemand die Treppe herunterkäme, die Tür aufreißen und grausame Dinge mit ihnen anstellen würde. Bisher hatten sie nur Leon abgeholt, den kleinen Schmächtigen, dachte Maren, den Sophia so gern hatte, und sie auch. Unter dem Tisch griff sie nach Sophias Hand, die kalt war wie Schnee. »N-nicht so l-laut, bitte, Ei-Eike, b-bitte.«
Eike verzog den Mund und wandte sich wieder an Conrad, der unter der Decke die Hände ineinanderkrallte. »Vergiss die Mädchen, Mann. Hör mir zu. Verstehst du, was ich dir sagen will, Blödschädel? Ich bin extra wegen dem Linus zu dem Scheißturnier gefahren. Denkst du, das interessiert mich, wie der Versager über den Ball haut? Profi will der werden und kann nicht mal einen Ball stoppen. Aus der Luft.«
Eike hob das rechte Bein und streckte den Fuß mit der grauen Socke. Die drei anderen sahen wie gebannt
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