Die unterirdische Sonne
der Tür sah.
Conrad streifte die Decke ab und streckte die Beine. »Hör mal, Eike«, sagte er gleichmütig. »Solltest du nicht endlich anfangen, das Klo zu putzen?«
Weder Conrad noch die Mädchen hatten mit so einem Sprung gerechnet.
Eike machte nur einen halben Schritt nach vorn und hechtete dann auf Conrads Matratze. Er schlang den Arm um den Hals des Jungen und drückte zu. Conrad japste, schlug um sich, zappelte mit den Beinen und hatte keine Chance. Eike nahm den zweiten Arm zu Hilfe und drückte fester zu. Aus Conrads Mund rann Spucke, er röchelte und verdrehte die Augen.
In dem Moment, als Sophia aus ihrer Erstarrung erwachte, wurde die Eisentür geöffnet. Zwei Männer kamen herein. Einer von ihnen schlug Eike mit einem Baseballschläger nieder. Der andere rief den Mädchen zu: »Umdrehen!«
Sie warfen sich auf den Boden, umarmten sich gegenseitig und schlossen die Augen.
Einer der Männer schleppte den benommen auf der Matratze liegenden Eike nach draußen, der andere warf die Decke über den verzweifelt nach Luft schnappenden Conrad. »Du machst in der Woche das Klo«, rief er, schlurfte nach draußen, schlug die Tür zu und sperrte ab. Die Schritte der beiden waren schnell verklungen.
Oben steckten sie Eikes Kopf mehrmals in einen Kübel mit eiskaltem Wasser. Der Junge musste am Leben bleiben. Die Frau hatte, während sie Eikes Monolog auf dem Monitor verfolgte, erklärt, sie habe ein paar neue Ideen, wie der Kleine doch noch zu gebrauchen wäre.
Im Keller war es still.
Die beiden Mädchen knieten vor der Wand, noch lange, nachdem die Männer Eike mitgenommen hatten. Conrad lag zusammengerollt unter seiner Decke, die Hände vorm Gesicht, stumm und frierend.
Irgendwann begann Maren zu summen. Sophia stimmte ein und sie erfanden eine Melodie. Sie summten so lange weiter, bis Conrad mit schleppenden, schweren Bewegungen ins Bad ging und anfing zu putzen.
An diesem Tag sprachen sie kein Wort mehr.
Als Leon zurückgebracht wurde, warteten die Mädchen geduldig, bis er seine üblichen Runden im Kreis gelaufen war und auf der Matratze in sich zusammensackte. Dann gingen sie zu ihm, knieten sich hin, legten die Arme um ihn und drückten ihn an sich.
Conrad saß auf einem Stuhl am Tisch und schaute zu, bis Sophia ihm zuwinkte. Auf Zehenspitzen, als wäre dies eine Regel, ging er zu ihnen, kniete sich ebenfalls hin und legte seine Arme um die Schultern der Mädchen.
So verharrten sie, mit Leon in ihrer Mitte, der sich geborgen fühlte wie schon ewig nicht mehr.
Z WEITER A KT
6
Seit dem Montag, als die Männer Eike abgeholt hatten, waren fast zwei Wochen vergangen. Sonst hatte sich nichts geändert, die Tage der Jugendlichen vergingen in Gehorsam und Stillschweigen. Über ihre Erlebnisse im Haus verloren sie noch immer kein Wort. Sie redeten vor sich hin, schauten gelangweilt fern, bildeten sich ein, ihre Wunden und Furchtblicke voreinander verbergen zu können, und waren erleichtert, wenn abends das Licht ausging.
Vor allem Leon wusste kaum, wohin mit den in ihm wütenden Bildern und dem Zorn, der ihn neuerdings wie ein fremder hinterhältiger Schatten begleitete. So etwas hatte er noch nie empfunden. Dass er trotzig sein konnte, wusste er, darüber hatte sich die Frau Berger schon in der ersten Grundschulklasse aufgeregt. Dabei wollte er auf dem Bürgersteig bloß noch eine Weile den Baum mit den bunten Blättern anschauen, die in seinen Augen mehr Farben hatten, als er überhaupt kannte. Und Frau Berger tat so, als würde die Fußgängerampel erst morgen wieder grün werden. Später fand er Trotzigsein lustig. Besonders, wenn seine Mutter meinte, er solle endlich aus dem Zug gehen. Dann blieb er minutenlang stehen, mitten im hereinwehenden Wind. Seine Mutter nannte ihn sturig.
Was das bedeutete, hatte er schnell begriffen, und auch, wie es sich anfühlte. Doch was ihn jetzt umtrieb und grimmig machte wie Eikes Boss-Hund, war ihm ein Rätsel.
Leon kannte das nicht: zornig sein. So wenig wie er bestimmte Farben kannte, die die Blätter im Herbst annahmen, obwohl sie vorher einfach nur grün gewesen waren.
Die Frau hatte ihn dazu gebracht, so etwas zu empfinden.
Der Mann, der ihn abholte, führte ihn nur noch zu ihr, nicht mehr in den Raum mit dem Käfig. Das Zimmer der Frau sah aus wie ein gewöhnliches Schlafzimmer, mit einem breiten Bett, einem weißen Schrank, einem Tisch am Fenster, vor dem die Rollos heruntergelassen waren.
Immer wenn er an all das dachte, zwang er sich, damit
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