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Die unterirdische Sonne

Die unterirdische Sonne

Titel: Die unterirdische Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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die hatten Schiss vor mir. Ich hab nicht jeden gleich umgelegt, bin ja nicht blöde. Ich kann dribbeln …«
    »Ich auch«, sagte Leon so leise, dass Noah ihn nicht gehört zu haben schien. Er redete einfach weiter.
    »Wenn natürlich der Schiri blind ist, bist du angeschissen. Im Elferschießen war ich auch gut, hab mindestens zehn verwandelt.«
    »Von wie vielen?« Leon hob den Kopf und hoffte, seine Stimme würde dadurch kräftiger.
    »Von elf.«
    »Du schwindelst.«
    »Wie viele hast du geschossen und verwandelt?«
    »Noch keinen.«
    »Keinen verwandelt?«
    »Keinen geschossen.«
    »Schwach.«
    Leon ließ den Kopf auf die Matratze fallen und schloss die Augen. In der nächsten Sekunde versank er zwischen bunten Kissen, hielt seinen Elch im Arm und dachte an all seine anderen Beschützer um ihn herum, und alles roch wie in echt. Als hätte ihn jemand nach Hause gebeamt – Noah vielleicht, mit seinem magischen blauen Stock.
    »Ich hab schon mindestens zwanzig gehalten«, sagte Conrad. Da war etwas in ihm, das sprechen wollte, etwas, das ihn schon die ganze Zeit in Unruhe versetzte und von keinem noch so öden Heimatfilm verscheucht wurde. Sein Stillsein während der vergangenen Tage, die ständigen Reibereien, die Anwesenheit des neuen Typen und Eikes Verschwinden, die immer größer werdende Ungewissheit, die Gemeinheit, dass die Frau das verschimmelte Brot mitgenommen hatte – das alles wühlte ihn auf und füllte ihn mit Worten an, die darauf warteten, wie Kanonenkugeln aus ihm herausgeschossen zu werden. Aus irgendeinem Grund steckten sie fest und er explodierte fast vor Stummheit.
    »Das glaubst auch nur du.« Noah hatte sich zu Conrad umgedreht. Strähnen hingen ihm über den Augen. Conrad fiel zum ersten Mal auf, wie blass und krank der Neuling aussah.
    Der Anblick von Noahs kohlrabenschwarzen Haaren löste bei Conrad Entsetzen aus. Er fing an, mit beiden Händen auf seinen Kopf zu trommeln, als wollte er die Stoppeln, die mühsam nachgewachsen waren, ins Innere zurückhämmern.
    Eine Minute lang schlug Conrad auf seinen Kopf ein. Das klatschende Geräusch riss Leon aus seiner gnädigen Bilderwelt. Noah war kurz davor, aufzustehen und Conrad einen Stockhieb gegen das Knie zu verpassen.
    Dann legte Conrad die Hände in den Schoß, verharrte eine Weile, sah gelangweilt zum Fernseher und drehte sich mitsamt dem Stuhl zum Tisch um.
    »Ich bin ein guter Torwart«, sagte er, als wäre nichts geschehen.
    Noah wirkte völlig unberührt. »Glückwunsch. Und hör auf, dir auf den Kopf zu hauen. Sei doch froh.«
    »Was?« Unabsichtlich gab Conrad ein Brummen von sich.
    »Kahlschädel machen Karriere.«
    »Was?«
    »Hab ich gelesen.«
    »Du liest Zeitung?«
    »Im Internet.« Noah zeigte mit dem gebogenen Griff des Stocks auf Conrads Kopf. »Sag ihnen, sie sollen dir einen Rasierer leihen, dann machst du das in Zukunft selber.«
    »In welcher Zukunft?«
    Noah klopfte mit dem Stock auf den Boden. »Vertrau mir.«
    »Erzähl uns was vom Fußballspielen.« Leon setzte sich behutsam auf. Jedes Mal, wenn er an die beiden Mädchen dachte, die seit Stunden oben waren, erschrak er im ganzen Körper.
    »Da ist nichts zu erzählen.« Noah lehnte sich zurück, den Stock wieder zwischen den Knien. »Hab nur zwei Jahre gespielt, länger nicht.«
    »Warum nicht?«, fragte Conrad. Wie unter Zwang verfolgte er aus den Augenwinkeln weiter das Geschehen auf dem Fernseher.
    »Meine Mutter hatte Probleme mit den Trikots.«
    Darauf wussten die beiden anderen nichts zu sagen.
    »Sie waren ihr zu dreckig«, sagte Noah. »Sie hatte keinen Bock mehr aufs Waschen. Deswegen hat sie gesagt, ich soll mit dem Fußballspielen aufhören. Hab ich gemacht. Kein Problem. Hab gewusst, mein Tag wird kommen.«
    »Welcher Tag denn?«, fragte Conrad.
    »Mein Tag. Hörst du mir nicht zu? Der Tag, an dem sie bereuen wird, dass sie meine Trikots nicht mehr waschen wollte.«
    Leon streckte den Kopf vor. Eigentlich wollte er aufstehen, aber seine Schmerzen hinderten ihn daran. »Und ist der Tag gekommen?«
    »Ja.«
    »Was ist passiert?«
    »Nichts.«
    »Du hättest auch einfach weiterspielen können«, sagte Conrad. »Deine Ma kann dir doch das Spielen nicht verbieten.«
    »Hat sie aber getan.«
    »Und du hast dich nicht gewehrt.«
    »Nein.«
    »Ich hätt mich schon gewehrt«, sagte Conrad.
    Leon überlegte, ob er sich gewehrt hätte. Dann fiel ihm ein, dass seine Mutter ihm niemals das Fußballspielen verboten hätte.
    »Nur keine Tränen«, sagte Noah. »Ist

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